Türchen 13 (von Richard)

Tauben zur Vorweihnachtszeit

Als wir letzthin im Bett lagen, hörten wir die Tauben gurren. „Was sie wohl zu erzählen haben?“ fragten wir uns. Und wie es der Zufall wollte, konnten ich kurz darauf ein Taubenpaar belauschen.

„Jetzt ist wieder diese helle Zeit in der finsteren Zeit, wo manche Straßen heller als sonst beleuchtet sind. Wie ich letzthin in den Westen geflogen bin, habe ich mich beinahe nicht ausgekannt, viele Straßen viel heller als sonst, mit seltsamen und vielfarbigen Gestellen, die in die Flugbahn gehängt werden. Wenn das irgendwelche Fallen sein sollen, um uns zu fangen, dann sind die nicht recht tauglich. Und warum werden die überhaupt nur in der kalten Jahreszeit aufgehängt? Haben die Menschen Hunger? Auf jeden Fall war es durch die zusätzliche Lichter viel Heller als sonst. Sehr hell war es in der Mitte der Stadt, Du weißt schon, bei dem hohen Turm, wo so viele Bekannte wohnen. Alles hell erleuchtet, und so viele Leute unterwegs. Wenn man sich erleichtern muss, muss man höllisch aufpassen, dass man nicht versehentlich wen trifft. Unser Ruf ist ohnehin der beste, da muss man schon ein bisschen Rücksicht nehmen, wo die Menschen doch so gut für uns sorgen. Und das ist nicht einfach bei dem Gewusel das mich immer an unsere Bekannten, die Ratten erinnert. So viele ununterscheidbare Leiber, die aneinander vorbei hetzen und man hat von oben überhaupt keine Ahnung was das für einen Zweck haben soll, dieses Gehetze, des Herumtragen von Dingen in unterschiedlichen Säcken, das Gedränge und Gestoße. Wir drängen uns ja auch immer wieder aneinander, vor allem im Kobel oder im Dachboden, vor allem wenn wir einander spüren wollen, also vor allem wenn uns kalt ist, aber bei diesen Menschen hat man nicht den Eindruck, dass das Gedränge diesen Zweck hat. Eher glaube ich, dass ihnen das Gedränge oft gar nicht angenehm ist, zumindest schauen sie nicht recht glücklich aus, aber was weiß ich schon.“ gurrte die eine Taube, ein hübsches klassisches Exemplar, mit grünen Gefieder am Hals und grauen Federn am Körper.

„Du wirst schon recht haben“ antwortete die andere Taube:“So richtig happy schauen die nicht drein“ (Wer hätte gedacht, dass auch Tauben denglisch gurren?) „Ich war letztens bei dem anderen hohen Turm, Bekannte besuchen, Du weißt schon, da bei dem Park, in dem alte Menschen hin und wieder eine Semmel spendieren, und wo der blecherne Mann am Dach steht. Da sind davor jetzt so viele Büdchen aufgebaut, und davor drängen sich die Leute, vor allem um den seltsamen Nadelbaum, der so grell leuchtet. Und manchen Menschengehen da rasch durch das Gedränge, manche stehen da aber fast unbeweglich in der Kälte herum und halten einen Becher mit dampfenden Getränken.“

„Ja“ ergänzte erstere Taube „das kenne ich, letzthin habe ich davon probieren können! In einem Becher, der auf den Boden gefallen war, war noch ein Rest dieser Flüssigkeit vorhanden. Eigenartig süß, ein wenig wie vergorenes Obst, aber viel intensiver. Kannst Du Dich an den Herbst erinnern, als wir herabgefallene Weintrauben genascht haben, die wohl schon lange herumgelegen sind? So ähnlich, aber ein wenig schärfer und süßer und mit einem unangenehmen Beigeschmack.“

 „Eigenartig, dass das den Menschen schmeckt.“ gurrte die zweite Taube „Aber die Menschen zu verstehen wird uns wohl nie ganz gelingen. Und ja, die stehen da herum und halten diese Becher in die Hand und auch da schauen nicht alle recht zufrieden aus. Warum trinken die von diesen Bechern, wenn es ihnen nicht schmeckt? Und dann diese bunten Teigformen, die so seltsam nach Gewürzen schmecken. Das konnte ich mal kosten, das hat nicht so übel geschmeckt – ein hohes Lob sei dem vielen Abfall der Menschen ausgesprochen! – aber die meisten Menschen essen das ja gar nicht, sondern hängen sich diese bunten Teigstücke um den Hals? Ganz absonderlich verziert, als ob es was zu bedeuten hat. Dabei ist diese Verzierung auch ganz har tun schmeckt gar nicht einmal so fein, wie es die Farbe versprechen würde. Gut ist das Essen der Menschen eben auch nicht immer, aber soll man wählerisch sein?“

„Da hast du vollkommen recht“ ergänzte die erstere Taube „Es steht unsereiner wahrscheinlich gar nicht recht zu am reichlichen Gabentisch der Menschen etwas auszusetzen. Was finden sich nicht alles für Leckereien gerade bei Ansammlungen von Menschen! Auch diese Maroni und Kartoffelstände sind ja wieder aufgestellt und im Betrieb und da gibt es in der näheren Umgebung eigentlich immer etwas zu finden. Aber ich kann nicht verstehen, warum um diese Jahreszeit soviele Menschen draußen herum eilen? Wäre es nicht viel gemütlicher in diesen Häusern? Zumindest mir gefällt es auf so einem Dachboden viel besser als draußen. Wenn nicht immer dieser Hunger wäre, würde ich wahrscheinlich die ganze kalte Jahres Zeit drinnen verbringen. Zumal man sich ja auch seines Lebens nicht ganz sicher sein kann – denn irgendwann passierts ja dann doch.“

„Was?“ fragt die zweite Taube „Was meinst Du?“

„Irgendwann passiert es“ wiederholte die erstere Taube „ und dann geht der Krach und das Geschieße und der ganze Wahnsinn wieder los. Einmal im Jahr – und es ist eigentlich immer dann, wenn es kalt ist – knallen die Menschen herum, als würde es keine Morgen geben. Kein Vogel ist sich seines Lebens sicher, man muss schon tüchtig hoch fliegen, um diesen leuchtenden brennenden Stäben auszuweichen. Und dann irgendwann zerplatzen sie, und verteilen Funken in der Luft! Und diese Funken schmerzen auf den Flügeln, das kannst Du mir glauben!

„Oh ja, stimmt, stimmt, ich glaube es Dir wohl“ antwortete die zweitere Taube „Auch ich habe schon meine – sehr, sehr unangenehme Bekanntschaft mit diesen leuchtenden Stäben gemacht. Was für ein gemeingefährlicher Unsinn! Rätselhaft, diese Menschen. Aber zu unserem Glück kündigt sich der Abend des Knallens meist schon an, immer wieder hört man das Geböller und Geschieße schon einige Tage vorher, bevor es richtig losgeht.“

„Dann wollen wir mal hoffen, dass wir rechtzeitig ein sicheres und ruhiges Plätzchen finden können“ sagte die erstere Taube und flog davon. Und so haben wir heuer einen kleinen Eindruck von der Vorweihnachtszeit aus Taubensicht bekommen.

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