Türchen 19 (von Janina)

Ich möchte euch heute eine Geschichte nacherzählen – die Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann.
Es ist ein sonniger Tag, wir sind am Hafen einer kleinen Stadt am Atlantik. Ein Fischer sitzt am Pier, schaut aufs Meer eine Tasse dampfenden Kaffee in der Hand. Es ist 10 Uhr morgens. Er war schon auf dem Wasser und hat einen kleinen Fang gemacht. Genug, um seine Familie versorgen.
Zur gleichen Zeit steigt ein Geschäftsmann von seiner Yacht. Der Kragen seines rosa Polohemds ist aufgestellt, der Cashmere Pullover locker über den Schultern drapiert. Er geht auf seinem Weg zum Parkplatz an dem Fischer vorbei und bleibt stehen.
Na, schon einen großen Fang gemacht heute?
Ein paar schöne Makrelen, antwortet der Fischer und zeigt auf die kleine Kiste auf Eis, die neben ihm steht.
Da sind doch sicher noch mehr im Wasser, machst du Pause, bevor es gleich wieder raus geht?
Nein, ich bin fertig für heute.
Der Tag hat doch gerade erst angefangen, warum fährst du nicht länger raus, machst einen größeren Fang?
Warum sollte ich das tun?
Makrelen verkaufen sich doch gut. Du könntest dir bald ein größeres Boot kaufen, größere Netze. Thunfische könntest du fangen, die bringen mehr Geld.
Und dann?
Du könntest in wenigen Jahren eine große Flotte aufbauen, große Fänge machen, große Renditen einfahren.
Wozu?
Wenn das Business richtig gut läuft, verkaufst du es genießt das Leben und machst den ganzen Tag, worauf du Lust hast!
Aber genau das mache ich doch jetzt schon, antwortet der Fischer, richtet seinen Blick wieder auf das Meer und nimmt einen Schluck aus seiner dampfenden Tasse Kaffee.

Eine Erinnerung zur Weihnachtszeit, dass Schneller, Höher, Weiter nicht immer das Ziel sein muss und das Schöne im Leben manchmal viel näher ist als es oft scheint.

Für die Illustration der Geschichte danke ich meiner meiner Tochter Aenna Le Ray (7 Jahre)!

Türchen 18 (von Cimo)

Family wird größer

Mit der Geburt meines zweiten Kindes (Henri) ging nicht nur viel Vorfreude, sondern auch Ängste und Sorgen einher, kann ich das zweite Kind so lieben wie das Erste, habe ich genug Zeit, um ähnlich viel Zuwendung aufzubringen, läuft die Geburt gut ab ohne gesundheitlichen Folgen.

Zum Glück ist alles gut gegangen. Jetzt ein paar Wochen nach der Geburt muss ich sagen, ich habe mich noch nie so erfüllt und ausgeglichen wie jetzt gefühlt. Es ist so schön zu sehen, wie die große Schwester ihren Bruder liebt und sich auch involviert in die Fürsorge ums Baby. Eine gute Verbindung zwischen Geschwistern kann etwas einmaliges und unglaublich wertvolles sein. Ich fühle richtig, dass sich meine kleine Familie nun komplett anfühlt und die Bindungen weiter gestärkt wurden. Beim 2ten Kind weiß man wie schnell die Zeit vergeht und versucht jede Möglichkeit voll auszuschöpfen und die gemeinsame Zeit möglichst zu genießen. Dein Baby versprüht eine einmalige Magie, die dir viel Energie und Liebe schenkt.

Nichtsdestotrotz ist ein Tag mit zwei Kindern immer ein Abwiegen von Bedürfnissen, die teils sehr unterschiedlich sind. Die Elternschaft ist eine Aufgabe, die äußerst komplex und vielseitig ist, wo man ständig gefordert ist, flexibel zu sein und kreative Lösungen oft benötigt werden, um passend auf die Gefühle & Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Natürlich machen wir immer wieder Fehler und die Tränen kullern, aber oft können wir unser Tochter ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Essentiell ist es sich nicht an Fehlentscheidungen (zum Beispiel – Diskussion mit einem übermüdeten Kind über das Essen eines Keks, das wichtige Spielzeug vergessen) aufzuhängen, sondern bei nächster Gelegenheit wieder für positive Erlebnisse zu sorgen.

Die größte neue Herausforderungen mit zwei Kindern für mich ist es fair zu bleiben und nicht das Umfeld zu schaffen, dass ein Kind permanent benachteiligt wird. Das ist jedoch gar nicht so leicht, da man instinktiv dem Kind was lauter schreit mehr Aufmerksamkeit schenkt. Mit gezielter Qualität time für beide Kinder, probieren wir dem entgegen zu wirken, aber neue Ideen und Konzepte werden wir mit der Entwicklung der Kinder finden müssen.

Türchen 17 (von Jasmin)

Zu Weihnachten

In der Stille dieser besonderen Tage, wenn Lichter sanft flackern
und die Welt für einen Moment leiser wird, darfst du dir selbst begegnen.

Schließe kurz die Augen.
Atme.
Und erinnere dich daran,
dass es dich nur ein einziges Mal gibt.

Du bist kein Zufall.
Deine Gedanken, deine Träume,
deine Stärken und auch deine Zweifel
tragen deine ganz eigene Handschrift.
Nichts an dir ist zu viel.
Nichts an dir ist falsch.

Weihnachten erinnert uns nicht nur an Liebe füreinander,
sondern auch an die Liebe zu uns selbst.
An die Wärme, die bereits in uns wohnt.
An den Mut, der still in unserem Herzen wartet.
An die Kraft, weiterzugehen auch wenn der Weg nicht immer leicht ist.

Du musst niemand anderes sein.
Du darfst loslassen,
was dich klein macht
und festhalten,
was dich wahrhaftig nährt.

Denn alles, was du suchst,
trägt dein Herz längst in sich.
Und genau so, wie du bist,
bist du genug.

Möge dieses Weihnachten
dir Frieden schenken,
Sanftheit mit dir selbst
und die leise Gewissheit:

Du bist wertvoll.
Du bist wunderbar.
Und du bist genau richtig.

Türchen 16 (von Richard)

Impressionen

Was verbinden wir mit Weihnachten, den Tagen vor dem Jahreswechsel? Hektik, Aufregung, Familienzeit, die Sehnsucht nach Einkehr und Ruhe? Und wo könnte es ruhiger sein – als unter Wasser?

Also wieder einmal Tauchen. Allzu weit wegfahren macht auf vielen Ebenen keinen Sinn. Zumal es wunderbare Gewässer hierzulande gibt. Wieder einmal Tauchen in den Attersee. Vorbereiten, die Tauchkiste packen und natürlich warm anziehen. Merinounterwäsche, ein Pullover, dicke Socken. Die Fahrt hin wie eine langsame Annäherung. Kaum jemand fährt an die Seen um diese Zeit. Der touristische Betrieb hat nach der Sommersaison Pause. Besinnlichkeit auch hier.

Und dann hin an den See. Es ist wenig los, die vorweihnachtliche Geschäftigkeit macht offenbar einen Bogen um kühle Gewässer. Nur ein paar Tauchkolleg:innen bereiten sich an den jeweiligen Spots vor um ein bisschen Einkehr zu halten. Wir haben unseren Platz erreicht. Nichts herausforderndes, nicht allzu tief, keine Steilwand, ein gemütlicher Einstieg . Die Vorbereitung der Flaschen, Jacket kontrolliert, alle Schläuche dicht. Umziehen, hinein in den Trockentauchanzug. Die Finger sind noch einigermaßen aufgewärmt, das wird sich allerdings bald ändern. Alles angezogen, hinauf mit der Flasche, Check mit dem Buddy, ob alles sitzt und alles so funktioniert, wie es sein sollte. Alles in Ordnung, die Regler funktionieren. Und hinein in das Vergnügen.

Hinein ins Wasser, die Kälte des Wassers ist spürbar, durch den Anzug, durch die Kleidung. Die Finger kurz ins Wasser gehalten – ja, frisch. Ein wenig Wasser ins Gesicht, um sich ein wenig daran zu gewöhnen. Regler in den Mund, ein Blick zum Buddy, stummes Einverständnis, Daumen hinab, abtauchen. In die Knie gehen, ins Wasser tauchen. Sobald das Gesicht ins Wasser taucht, fühlt sich der Bereich um den Mund frostig an. Das wird jetzt so bleiben, für die nächste halbe Stunde, Stunde. Soll so sein. Eintauchen, Luft aus dem Jacket, ich tauche langsam ab. Auf drei Meter ein Blick zu meinem Buddy, ein scheuer Blick, Zustimmung und Skepsis in seinem Blick. Weiter hinunter. Der Grund ist ein wenig aufgewühlt von unserem Einstieg, aber fünf Meter unter der Oberfläche wird das Wasser wieder ein wenig klarer, die Schlamm oder Staubwolke über uns beruhigt sich.

Weiter hinunter. Ich bemühe mich um ruhige Atmung, Aufregung ist nicht gut unter Wasser. Tauchen um diese Jahreszeit hat den Vorteil, dass die Sicht besser ist als im Sommer oder im Frühjahr. Ich lausche und höre nichts, außer mein eigenes Atemgeräusch durch den Regler, und ein wenig Wasserrauschen. Stille, der Welt der Oberfläche entzogen, hier, zehn, fünfzehn Meter unter Wasser. Hier ist keine Hektik, hier keine Geschäftigkeit, kein Stress. Auch Stress ist beim Tauchen nicht gut, also gilt es das zu vermeiden, wir wollen einen ruhigen, sicheren, ja besinnlichen Tauchgang. Vorweihnachtlich.

Der Untergrund ist bedeckt von Quaggamuscheln, eine invasive Muschelart, die sich in den heimischen Seen ausbreitet und auch hier, am Attersee nahezu überall wuchert. Weiter oben gab es noch vereinzelt Pflanzenbewuchs, hier, auf fünfzehn Metern ist es schon zu dunkel. Wir sehen uns an, ob wir noch weiter hinunterwollen, stummes Einverständnis, dass wir auf dieser Höhe bleiben, ungefähr. Wir tauchen nach links, irgendwann sollten wir dann auch ein Wrack eines alten Ruderbootes stoßen. Oder auch nicht, wir tauchen meist nicht für bestimmte Ziele, sondern für das Gefühl der Entrücktheit, die Stille, die Schwerelosigkeit unter Wasser. Wir gleiten sanft dahin, im Halbdunkel wenig Abwechslung, Quaggamuscheln, hin und wieder ein hineingefallener und abgesunkener Baumstamm. Steine, ein Abhang, eine Biegung des Seeufers. Die Finger werden allmählich kühl, Zeit sie ein wenig zu bewegen. Und auch Zeit schön langsam umzudrehen, die Flasche ist halb leer. Wenig ist schöner als sich der Welt durch Tauchen zu entziehen, das Gefühl zu genießen an einem Ort zu sein, für den man nicht gemacht ist, der einem aber immer empfängt wie einen alten, lang nicht mehr gesehenen Freund. Wir schlagen der Welt ein Schnippchen, eine kurze Meditation unter Wasser, und kehren gestärkt zurück.

Türchen 15 (von Ben)

Lessons from Japan to carry into 2026

I recently spent some time in Japan, and as the year wraps up, I keep thinking about the things the country does so well. It’s a place where calm and chaos coexist and where everyday life feels more intentional than anywhere else I’ve been. These are some aspects of Japanese life I’d like to bring back to Europe with me.

1. Wholehearted hospitality
People in Japan aren’t just polite – they’re genuinely pleased to help. Whether someone walked me to the right street or a shop assistant sent me off with a bow that felt like a blessing, there’s a sincerity to every interaction. These small acts of kindness have a way of landing softly but lasting a long time. There isn’t the same sentiment in the UK, but I’d love to bring a bit of it into other people’s days where I can.

2. Noticing the small rituals
Japan turns everyday habits into gentle rituals. Things like pouring tea, offering greetings, and removing shoes at the door –  these tiny pauses give shape to the day. They made me realise not everything needs to be rushed – some moments deserve to be acknowledged. I want to focus on both enjoying the small things in day-to-day life, and taking the time to do them properly and with purpose.

3. Respect, patience, and quiet generosity
What stayed with me most was how these things blend together in Japan. Crowds move calmly, queues form naturally, people wait their turn without impatience. There’s an unspoken respect for shared spaces, shared silence, and the people around you. It’s a way of moving through the world that makes everything feel gentler, smoother, and strangely more human. I can’t change British culture on the whole, but I can play my part by trying to move through the world with the same sense of respect.

4. Respecting food — and the moment you eat it
From neatly prepared convenience-store snacks to restaurant meals, food in Japan is treated with care. Eating feels like a moment to experience, not something squeezed in between tasks. At home, food often becomes a chore — what will we make, when will we cook? I want to take that back into my own hands and turn cooking into a small daily ritual: prepared with care, enjoyed with intention. After all, it’s something I’ll be doing for the rest of my life.

As 2025 winds down, these are the things I want to carry into 2026. If the coming year holds even a little of that, I’ll consider it a good one. If not… I suppose I’ll just have to book another flight to Tokyo.

I hope there’s something here you can relate to – maybe even something you’d like to bring into your own life.

Merry Christmas to you and your families.

Türchen 14 (von Christina)

Ledige Mutter

beim begegnen blickt
eisig wer sie kennt
heuer ist für sie
etwas früh advent

nackt und pfeilgespickt
fährt sie dann das kind
ohne mann und ring
durch den schnatterpark

endlich macht sie sich
glatt wie boxhandschuh
und es nickt ihr zu
was erst starr geblickt hat

Ernst Jandl

————–

Dieses Gedicht berührt mich, weil ich sie gut kenne, diese Blicke im Schnatterpark. Ich kenne Scham und Schuld, ich habe Fehler gemacht, nicht nur einen. Es gab mehrere Situationen, in denen ich mich nicht in den Spiegel schauen wollte, in denen nicht einmal ich selbst meinem Blick standhielt.
Manche blickten auch nicht eisig, sondern einfach woanders hin. Es fühlte sich an, als würde ich unsichtbar werden und aufhören, zu existieren.

Es gab aber Momente, in denen mir verziehen wurde, einfach so, ohne dass ich irgendetwas außerordentliches dafür getan hätte, außer weiterzumachen und die Konsequenzen meines Handelns zu tragen.
Ich kann es mir nicht anders erklären, aber ich denke, dass schlicht das Gehen des harten Weges, das Leben meines selbstgewählten, streckenweise sehr einsamen Lebens, mich wieder aufgerichtet hat. Schlicht das Aushalten und hat mich Schritt für Schritt meine Würde zurückgewinnen lassen.

Mir wurde das Geschenk des Verzeihens zuteil, und es erscheint mir wie ein Weihnachtswunder, zum Beispiel, zu einem Weihnachtsessen der alten Schwiegerfamilie eingeladen zu werden oder hier zu diesem Blog eingeladen zu werden.

Dieses Geschenk ist ein Geschenk, man kann es nicht verdienen. Aber – und das weiß ich nun – um es annehmen zu können, brauchte es für mich das Zurückgewinnen meines Gesichtes vor mir selber, ein Prozess den mir niemand und nichts abnehmen konnte.

Die Metapher des Boxhandschuhs gefällt mir, denn das ist, was ich gewonnen habe: Glatt und geschmeidig sein zu können, fest und hart und weich zugleich, mich geschützt von meinem eigenen Erlebtem und furchtloser denn je dem Leben entgegen werfen zu können.

Ich wünsche euch allen so ein Weihnachtswunder und ein fröhliches Fest 🙂 Danke, dass ich spontan mitmachen durfte!

Türchen 13 (von Daniel)

Das Leben lässt sich kühl und nüchtern als Geflecht physikalischer Prozesse verstehen, und gerade daraus kann sich eine sehr intime, fühlende Bedeutung ergeben. Alles beginnt mit Materie, Atome bilden Moleküle, Moleküle organisieren sich zu Zellen, Zellen zu Organismen. In dieser Perspektive gibt es keine eingebauten Ziele, keine kosmische Aufgabe, keine Garantie auf Sinn. Es gibt nur Abläufe, die geschehen, weil sie den Naturgesetzen folgen. 

Verlängert man die Zeitleiste, werden viele Dinge, die im Alltag übergroß wirken, relativ. Karrieren, Erfolge, Titel, Prestige, sind gebunden an kurze Zeitfenster, an bestimmte Kulturen, an einzelne Generationen. Auf der Skala von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden verschwimmen diese Errungenschaften zu kaum noch erkennbaren Mustern. Was als großer Erfolg erlebt wird, ist eine kurzfristige Struktur in einem Meer aus Wandel. Von außen betrachtet, sind Ziele eher Zwischenformen im Fluss der Prozesse, als ewige Markierungen. 

Gerade diese radikale Vergänglichkeit öffnet den Blick auf etwas anderes, nicht das, was bleibt, ist entscheidend, sondern das, was sich im Moment anfühlt. Wenn sich neuronale Aktivität in Empfindung verwandelt, wird aus bloßer Materie gelebte Subjektivität. Aus Signalen werden Traurigkeit, Erleichterung, Stolz, Scham, Zuneigung. Das, was Ich genannt wird, ist eine Konfiguration von Materie, die beginnt, den eigenen Zustand zu erleben. In dieser Sicht ist Leben der Augenblick, in dem das Universum durch ein fühlendes Wesen in sich hineinlauscht. 

Viele philosophische Traditionen würden dieser Deutung widersprechen, oder sie zumindest ergänzen. Der klassische Existenzialismus betont, dass die Welt an sich sinnlos ist, der Mensch aber Freiheit hat, eigenen Sinn zu schaffen. In dieser Perspektive reicht es nicht, das Leben nur als Empfindung zu nehmen, Sinn entsteht, indem ein Mensch Position bezieht, entscheidet, Verantwortung übernimmt, und damit eine Art inneren Kompass aufbaut. Das Fühlen ist dann nicht das Ziel, sondern der Rohstoff, aus dem eine selbstgewählte Lebensrichtung geformt wird. 

Religiöse oder metaphysische Ansätze gehen noch weiter. In vielen religiösen Traditionen ist der Sinn des Lebens nicht im Erleben selbst verankert, sondern in einer Beziehung zu etwas Transzendentem, zu Gott, zu einer höheren Ordnung, zu einem jenseitigen Ziel. Das irdische Leben erscheint als Durchgang, als Prüfung oder Vorbereitung. Emotionen und Erfahrungen sind wichtig, aber sie sind Mittel, um einem übergeordneten Plan näher zu kommen. In dieser Sicht wäre es unzureichend zu sagen, das Universum spürt sich nur selbst, es gäbe eine Absicht, in die das Einzelleben eingebettet ist. 

Teleologische Philosophien sehen Sinn häufig in Entwicklung und Vervollkommnung. Nach diesem Verständnis erfüllt sich das Leben darin, Fähigkeiten auszubilden, Tugenden zu entwickeln, oder an einer besseren Welt mitzuwirken. Emotionen fungieren als eine Art inneres Echo, Freude als Signal für gelingendes Leben, Leid als Hinweis auf Defizite oder Fehlentwicklungen. Das Ziel liegt nicht in der bloßen Intensität des Erlebens, sondern in einer bestimmten Qualität und Richtung des Daseins. 

All diese Sichtweisen haben eine starke innere Logik, und zugleich setzen sie etwas voraus, das sich nicht beweisen lässt, eine Pflicht zur Selbsterschaffung, einen göttlichen Plan, oder ein objektiv besseres Ziel. Bleibt man konsequent bei einer naturalistischen Linie, werden diese Annahmen zu Möglichkeiten, aber nicht zu Notwendigkeiten. Sicher sagen lässt sich dann vor allem eines, es gibt Materie, es gibt Prozesse, und es gibt Bewusstsein, das diese Prozesse erlebt. 

In dieser Rückkehr zur ursprünglichen Idee wird Sinn nicht von außen verliehen, sondern ergibt sich aus der Tatsache des Erlebens selbst. Das Universum braucht keine Ziele, um zu existieren, aber in dir erlebt es Freude, Angst, Verbundenheit, Einsamkeit, Neugier. Ziele können weiterhin wichtig sein, als Struktur für das eigene Leben, als Anlass für Wachstum und Wandel. Ihr Wert liegt jedoch weniger in ihrer Dauer, als in der Tiefe des Gefühls, das sie ermöglichen. 

So gesehen ist das Leben nicht in erster Linie ein Projekt, das etwas Dauerhaftes hinterlassen muss, sondern ein Raum, in dem Wirklichkeit sich von innen her spürt. Die Höhen und Tiefen, die Brüche, die Erfolge und Niederlagen, sind unterschiedliche Formen dieses Spürens. Andere Philosophien können Orientierung, Trost, oder Richtung bieten, doch sie entfalten ihre Bedeutung nur, weil ein fühlendes Wesen sie erlebt. Am Ende bleibt diese einfache, radikale Möglichkeit, dass der eigentliche Kern des Lebens darin liegt, dass das Universum durch dich, für einen begrenzten Moment, Bewusstsein und Emotion wird, und sich in genau diesem Erleben selbst begegnet. 

Vielleicht erklärt das auch, warum ausgerechnet eine Zeit wie Weihnachten viele Menschen so stark bewegt. Zwischen Lichtern, Stille und Begegnungen, entstehen Momente, in denen Erfolgslisten und Ziele leiser werden, und das Erleben selbst in den Vordergrund tritt. Mögen dir diese Tage Augenblicke schenken, in denen du das Leben klar und warm spürst, im Blick eines Menschen, im stillen Atemzug, im Gefühl von Dankbarkeit. Frohe Weihnachten, und ein Jahr, in dem du dich selbst, und die Welt um dich herum, immer wieder lebendig wahrnehmen kannst.

Türchen 12 (von Benedikt)

Reisen ist für mich ein wichtiger Teil meines Lebens. Es zeigt mir, wie es woanders aussieht, wie andere Menschen leben, fühlen und miteinander umgehen. Unsere Reise war für mich ein Einatmen. Ein großes, warmes, staunendes Einatmen.

Wenn ich an diese wunderschönen Wochen zurückdenke, tauchen zuerst die Gesichter auf. Menschen, die uns angelächelt haben, lange bevor wir überhaupt wussten, wie wir ,,Hallo“ in ihrer Sprache sagen. Menschen, die uns den Weg gezeigt haben, obwohl sie selbst in Eile waren. Menschen, die uns Dinge schenkten, obwohl sie selbst nicht viel besitzen.

Was ich an diesen Ländern am meisten bewundere, ist die Leichtigkeit, mit der Herzlichkeit geteilt wird. Sei es der vergessene Laptop, den wir zurückbekommen haben, die Snacks, die uns im Bus in die Hand gedrückt wurden, oder ein einfaches Lächeln, das von Herzen kam.

All diese kleinen Gesten, unscheinbar und gleichzeitig riesengroß.
Manchmal hat es mich fast beschämt, wie selbstverständlich diese Großzügigkeit fließt. Diese Handlungen waren ohne Erwartungen, getragen von reiner Menschlichkeit und Nächstenliebe.

Ich habe auf dieser Reise etwas gelernt, das sich schwer in Worte fassen lässt: Dankbarkeit ist nichts, was man übt wie eine Sportart. Sie passiert, wenn das Herz kurz stolpert und man merkt, wie viel einem geschenkt wurde. Einfach so.

Vielleicht ist das der wahre Reichtum dieser Menschen. Nicht Besitz, nicht Komfort, sondern die Fähigkeit, Verbindung zu schaffen, von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz.

Jetzt, im Advent, wo die Welt etwas leiser wird und man ein bisschen näher zu sich selbst rückt, denke ich viel daran zurück. Diese Reise hat mich weicher gemacht. Dankbarer. Aufmerksamer für das Gute, das uns begegnet, wenn wir offen dafür bleiben.

Vielleicht ist genau das der Spirit dieses Adventskalenders, ein kleiner Raum, in dem wir uns an das erinnern, was uns berührt hat, und es weitergeben. Meine Dankbarkeit reist jedenfalls immer noch mit mir. Sie hat sich irgendwo zwischen Hanoi und Phnom Penh in meinen Rucksack geschlichen und weigert sich seitdem, wieder zu verschwinden.

Ich möchte diesen Raum hier nutzen, um daran zu erinnern, nicht alles als selbstverständlich anzusehen und dankbar zu sein für das, was man hat – auch wenn das Leben manchmal nicht leicht ist. Am Ende ist Gesundheit das Wichtigste, und wir sollten diese Dankbarkeit nicht verlieren und mit Offenheit und Nächstenliebe durch die Welt gehen.

Wir wünschen euch eine wunderschöne und besinnliche Adventszeit.
Lara und Benedikt

Türchen 11 (von Sebastian)

Ein Jahresvorrat Schokolade

oder wie man sein Glück kaum fassen kann und die beste Familie und Freunde auf der ganzen Welt hat!

Um mich vor mir selbst zu schützen, habe ich alle Tafeln Schokolade, abzüglich der bereits genossenen, in weihnachtliches Geschenkpapier verpackt und im Stile eines Adventkalenders mit einer Kalenderwoche versehen und die Sammlung in meiner Wohnung etwas außer Sichtweite platziert.
Tatsächlich wartet nun nächstes Jahr jede Woche eine Tafel Schokolade auf mich!

Wie ich zu diesem enormen Vorrat komme? Dies hat sich wie folgt zugetragen.

In der Abenddämmerung spaziere ich mit meinem Bruder Philipp die Aspernallee entlang und freue mich auf ein gemeinsames Abendessen. Der Abschluss eines sehr schönen Geburtstages, an dem ich schon einen Teil meiner Familie gesehen habe oder mit ihnen telephoniert habe, mit Freundinnen Mittagessen war und liebe Nachrichten aus allen Himmelsrichtungen bekommen habe.

Als wir die Stiegen zum Lusthaus hinaufgehen und es drinnen finster ist, realisiere ich, was sich hier zuträgt.
Wir gehen hinein und ich bin völlig überwältigt von achtzig so lieben Menschen zum Geburtstag besungen zu werden.

Die Festgesellschaft setzt sich aus Menschen zusammen mit denen ich in die Schule gegangen bin, verwandt bin, gemeinsam auf Urlaub war, die ich im Ausland kennengelernt habe, mit denen ich Karten spiele, die Nächte durchtanze, anderen meiner Interessen nachgehe, bereits in einem Bett geschlafen habe oder auch fantasy football spiele.

Diese Kategorien standen auf der Bingo Karte und zusätzlich sind mir im Laufe des Abends noch viele weitere lustige, emotionale und spannende Geschichten eingefallen, die wir bereits gemeinsam erlebt haben.

So viele Tränen der Rührung habe ich schon lange nicht, wenn überhaupt jemals, an einem Abend vergossen.

Dazu hat maßgeblich das Video mit lustigen Anekdoten und herzerwärmenden Grüßen aus der ganzen Welt beigetragen.

In einer Schachtel unter einer Collage von Photos von Freunden mit mir wurde als gemeinsames Geschenk auch dieser wundervolle Vorrat an Schokolade zusammengetragen, der mich nun ein ganzes Jahr begleiten wird und mich immer wieder an diesen Abend zurückdenken lassen wird.

Das Fest ist ohne Zweifel das monumentalste Geschenk, das ich jemals bekommen habe und beim Schreiben dieser Zeilen kommen mir schon wieder die Tränen!

Es ist schwer den Dank an Noelle, Niko und Philipp und alle anderen, die an dem Entstehen dieses wahrlich famosen Festes beteiligt waren, in Worte zu fassen!

Türchen 10 (von Kathrin)

Weihnachtsmusik

Ich weiß ja nicht, wie Eure Weihnachtsplaylist so aussieht, meine war jahrelang eine eher unfreiwillige (wenn auch in vielen Fällen nicht unwillkommene). Ich habe gehört, was meine Eltern so in der Weihnachtszeit gehört und gespielt haben, ich habe mitmusiziert und mitgesungen, was andere ausgesucht hatten, und ich wurde mit dem beschallt, was auf Weihnachtsmärkten, in Geschäften und im Radio so gespielt wurde. Eine besondere Rolle hat aber immer das Bach’sche Weihnachtsoratorium gespielt (ihr wisst schon: Jauchzet, Frohlocket!), wobei es da ganz wichtig war, dass es nicht zu früh gehört wurde und später dann am besten ganz streng jede Kantate an dem Tag, für den sie geschrieben wurde. Dadurch, so hoffte ich, würde die Musik frisch bleiben, nicht ausgenudelt vom Nebenherhören. Aber – und ich hoffe, das lesen meine Eltern jetzt nicht – es hat nicht ganz geklappt.: das „WO“, wie es gerne genannt wird, hat zumindest einen Teil seines Zaubers verloren- zu oft gehört. Und so geht es mir mit manchen anderen Weihnachtsliedern auch, vor allem den englischsprachigen, die überall gespielt werden.

Wenn aber Beschränkung nicht hilft? Was hilft dann?

Letztes Jahr habe ich im Wintersemester eine Vorlesung gehört, die zu den besten Lehrveranstaltungen gehört, die ich je besucht habe: „Musik zu Weihnachten: Genres, Topoi und Aufführungskontexte zwischen ca. 1600 und 1900“. Tatsächlich haben wir weit vor 1600 begonnen und uns zuletzt auch mit den großen amerikanischen Weihnachtsliedklassikern des 20. Jahrhunderts beschäftigt (ich sag nur: White Christmas) und da hab ich nicht nur unheimlich viel über Weihnachten als Fest des Bürgertums des 19. Jahrhunderts gelernt, sondern meine Weihnachtsplaylist auch deutlich erweitert. Besonders liebgewonnen habe ich dabei französische Weihnachtsmusik, vor allem die Messe de la Minuit pour Noël von Charpentier, eine Komposition für die Mitternachtsmesse in der Nacht auf den 25., basierend auf Melodien damals beliebter auch weltlicherer Weihnachtslieder. Hier findet Ihr einen schönen Konzertmitschnitt (https://youtu.be/hFhoFZ1iRpA?si=-P4_vpbTSv9ipvJc) und das ist meine Lieblingsaufnahme (https://tidal.com/album/320528976) gemeinsam mit anderer Weihnachtsmusik von Charpentier und Zeitgenossen. Auch schön und für alle die es ein wenig romantischer mögen ist das Weihnachtsoratorium von Saint-Saëns (https://www.youtube.com/watch?v=74AqvpeIMxw . Wer es so richtig spätromantisch bombastisch mag, dem/der sei Carl Loewes Festzeiten (https://www.youtube.com/watch?v=cKeeQHK3Vig) empfohlen.

Weihnachtsmusik muss aber nicht immer Text haben. Besonders beliebt waren ab dem Frühbarock sogenannte Pastoralen, Hirtenmusiken, die durch den typischen Rhythmus und die Verwendung von Holzblasinstrumenten gekennzeichnet sind. Am bekanntesten ist sicher der Pastorale-Satz aus Corellis Weihnachtskonzert (https://youtu.be/I8gl1TCz6a0?si=KXWLXbOrVApr0rZ4). Aber auch in vielen anderen Weihnachtsmusiken und Weihnachtsliedern finden sich Pastoralen, nicht zuletzt im Weihnachtsoratorium (Sinfonia, nein zum Weihnachtsoratorium kein Link 😉).

Weihnachtsmusik braucht aber nicht nur keinen Text, sie braucht nicht mal immer Musik. Cage hat sein berühmtes Stück 4:33 nicht für Weihnachten geschrieben, aber eine Gruppe von Musiker*innen hat es speziell für die Weihnachtscharts aufgenommen (https://www.theguardian.com/music/2010/dec/06/cage-against-machine-x-factor) – damit endlich mal ein paar Minuten Ruhe ist. Auch das kann ich empfehlen: Stille und leise Geräusche statt Weihnachtsmusik in Dauerschleife.

Und schließlich eine letzte Möglichkeit: Weihnachtsmusik selbst singen. Da fühlen sich für mich selbst die bekanntesten Lieder gut an. Und das geht sogar mit dem Weihnachtsoratorium (wie schon geschrieben, keine Links hier zum WO, aber sucht doch mal nach „Weihnachtsoratorium WG“ auf youtube), wäre ich noch im Studierendenalter würde ich schauen, ob ich bei so etwas mal dabei sein kann. Aber es müssen nicht immer die großen Werke sein, es tun auch einfache Lieder – zur Not auch mit Gemüse (https://www.instagram.com/p/DSA96WODMM0/)

Frohes Singen, Musizieren und ggf. Gemüseschnitzen!