Türchen 5 (von Bernhard)

Letzte Weihnachten

Letzte Weihnachten habe ich dir mein Herz gegeben. Aber schon am nächsten Tag hast du es weggegeben. Dieser Tage, um mich vor meinen Tränen zu retten, wurde mir – mit Hilfe des Erlöses aus meiner großzügigen Organspende, versteht sich – ein Spenderherz von einem tödlich verunglückten Schwein transplantiert. Im Nachhinein betrachtet, war es ein schlechter Tausch und die ganze Wertschöpfungskette für die Katz. Ich glaubte, so ein Herz sei überbewertet und Geld hingegen könne man immer brauchen, nämlich für andere Dinge, die wichtiger sind. Ich lebte dann fast ein Jahr lang ohne Herz und die Auswirkungen spürte ich gleich am ersten Tag.

Ein taubblindes Waisenkind hatte mich in der U-Bahn um etwas Kleingeld gebeten. Ich gab ihm visuell sowie akustisch zu verstehen, dass es achtsam sein solle, denn das Betteln sei hier verboten. „Und überhaupt“, fügte ich noch an, „hast du keine Eltern?“
Als nächstes wurde ich von einer jungen Soziologiestudentin belästigt, die sich finanziell als Fundraiserin für eine Tierschützer-NGO über Wasser hielt. Oder war sie bereits Absolventin? Ich weiß es nicht. Als ich sie unhöflich, aber bestimmt abwimmelte, rief sie mir nach, ob ich kein Herz für Tiere hätte. Ich blieb kurz stehen, drehte mich um und widersprach, schließlich wurde mein am Tag zuvor gespendetes Herz gerade einem auf der Intensivstation liegenden Schwein verpflanzt.

Und so ging es immer weiter, in allen meinen Alltagssituationen agierte ich herzlos, war weder zu positiven, noch zu negativen Emotionen fähig. Meine Gesichtsmuskel erschlafften so sehr und bald hatte ich einen neuen Spitznamen: Karpfen.
Die Selbsterkenntnis, dass mir irgendetwas fehlte, ereilte mich aber schließlich doch noch und als Konsequenz kaufte ich mir mit dem Organspendengeld ein schnelles Auto. Ich ignorierte die StVO im Allgemeinen, im Besonderen aber vor allem Wild- und Krötenwechsel, Fußgängerschutzwege und Lufthunderter. Im Autoradio lief die gesamte Diskographie von Gary Numan in Rotation. Auf meinem Kühler sammelte sich so einiges an monetär Verwertbarem an und so war das verprasste Geld bald wieder zurück auf meinem Girokonto.

So ging das Jahr vorüber und als ich ab November auch noch die Winterreifenpflicht ignorierte, war ich am Tiefpunkt angelangt. Kurz vor dem Waldkindergarten kam ich mit 200 km/h von der Forststraße ab und prallte frontal gegen eine als Naturerbe geschützte, tausendjährige Eibe. Auf der Intensiv wurde mir dann so einiges verpflanzt, darunter eben auch das bereits erwähnte Schweineherz, welches ich mir mit meinen letzten Reserven gegen einen Selbstbehalt erkaufte.

Seither kann ich wieder lachen (außer über diesen selten blöden Text) und meine Alltagssünden beschränken sich lediglich auf Öl in den Abfluss, weinende Kinder auslachen und von Wien nach Bratislava mit dem Flugzeug. Und weil ich wieder ein Herz habe, bewerkstellige ich dies mit großer Freude und Enthusiasmus.

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