Viele Menschen mit denen ich zu tun habe, Bekannte, Freunde aber auch aus dem beruflichen Kontext berichten darüber dass sie sich emotional abgestumpft, ausgelaugt, vielleicht sogar ein bisschen depressiv fühlen. Dies alles ist phasenweise normal, und jede/r von uns wird das schon erlebt haben oder noch werden. Und trotzdem scheinen sich die psychischen Krankheiten in der heutigen Zeit zu häufen, scheinen Burn Outs und Depressionen, aber auch Angsterkrankungen wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Als erklärte Hobbypsycho,- und Soziologin wage ich die These aufzustellen, dass dies viel mit der Beschaffenheit der modernen Welt zu tun hat, und damit, was diese uns abverlangt.
So gut der vielgepriesene Individualismus (ich selbst bin eine große Verfechterin und wer mich kennt der weiß das :-)) ist, so schwierig ist es aber auch mit den unendlichen Wahlmöglichkeiten, mit den losen Strukturen, kurz gesagt, mit der Freiheit umzugehen. Gerade im letzten Jahr habe ich, auch durch persönliche Krisen, viel darüber nachgedacht. Und ich bin zu dem Schluss gekommen dass es doch noch Regeln dafür gibt wie man leben soll, sie werden uns nur anders vermittelt. Es herrscht viel informeller Druck. Druck, etwas Besonders zu sein, Besonders zu leisten, zu erleben, gut in dem zu sein was man tut. Da sind die Ernährungsgurus, die Lifestyleoptimierer die suggerieren vegan zu sein, Sport und vor allem Yoga zu machen, regelmäßig zu meditieren, gut im Job zu sein, sich aber gleichzeitig auf sich zu besinnen, Yoga zu machen und zu meditieren, mit 30 um die Welt gereist zu sein, dann aber bitteschön eine Familie zu gründen, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen, im Anschluss mit den Kindern viel zu reisen… die Liste ist endlos. Klar kann man dem auch entsagen, als Single leben und keine Familie gründen – dann aber bitteschön cool und reisend, etwas Besonderes tuend und schaffend. Das alles muss natürlich zusätzlich schön verpackt und in sozialen Medien der Familie und dem Freundeskreis präsentiert werden. Das passt auch gut zu Türchen Nr. 13, in dem es um die viel gepriesen „Work-Life Balance“ ging.
Dies alles ist sehr überspitzt formuliert. Und es ist sicherlich nicht der einzige Grund für das Ansteigen psychischer Erkrankungen. Zu nennen wären auch noch fehlende Zeit für Eigenreflexion und Besinnung. Das Smartphone sorgt dafür, dass wir uns jeden Moment, in dem wir uns früher auf unsere Gefühle und auf Reflexion konzentriert haben, ungenutzt verstreichen lassen. Die Schnelllebigkeit im Allgemeinen, der steigende Stress im Beruf, die hauptsächlich geistigen Tätigkeiten die uns davon abhalten unsere Körper zu spüren – mir würden noch viele Gründe einfallen.
Ich kam auf dieses Thema, weil 2019 ein schweres Jahr für mich war. Geprägt von vielen Krisen in meiner Partnerschaft, von Problemen in meiner Kernfamilie, von beruflichen Herausforderungen hatte ich Zeiten in denen ich nicht mehr ein noch aus wusste. Das allein hätte mich wohl noch nicht umgehauen. Die zusätzliche Tatsache aber, bald 30 zu werden, kein gebautes Haus, keine gekaufte Wohnung, keine Kinder zu haben, während des Studiums nicht gereist zu sein… der ständige Vergleich mit anderen, der riesige informelle Druck, haben mich letztlich so sehr an mir und an allem zweifeln lassen, dass ich wenig Sinn mehr gesehen habe. Letztlich aber hat dies dazu geführt dass ich endlich wieder, nach langer Zeit, begonnen habe mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, mich von den gesellschaftlichen Vorstellungen zu lösen und mich wieder auf mich und meine Gefühle zu besinnen. Wenn man es ständig allen, dem/der PartnerIn, der Familie, dem Arbeitgeber UND der Gesellschaft recht machen will wird vieles an Gefühlen und Bedürfnissen verdrängt und unterdrückt. Man übergeht sich. Und in all dem angeblichen Individualismus, der angeblichen Freiheit, da vergisst man sich. Die Vermutung, dass dies sehr viel mit den steigenden Burn Outs, Depressionen und Angsterkrankungen zu tun hat liegt nahe. Mein Weg ist noch lange nicht vorbei, und ich habe da noch viel aufzuarbeiten. Und trotzdem geht es mir besser und ich spüre wieder mehr. Weil es mir immer mehr egal wird was die Gesellschaft von mir will.
Weihnachten steht für Besinnlichkeit. In diesem Sinne besinnen wir uns, und vergessen wir doch mal was wir wollen sollen, und denken wir daran was wir wollen.