Alleine auf dem Ringelspiel
Verspielt fallen vereinzelte Schneeflocken noch vom Himmel. Treffen sie auf den Boden verweilen sie einen Augenblick bevor sie sich verflüssigen.
Mates steigt soeben aus der Straßenbahn aus, atmet erfreut die winterliche Luft ein und erblickt wenige Augenblicke später den fast zur Gänze verlassenen Spielplatz.
Einzig das Ringelspiel ist in Bewegung. Eine Dame Mitte vierzig, ihre Einkäufe liegen in zwei Sackerln neben dem Ringelspiel am Boden, dreht sich im Kreis. Die Geschwindigkeit verrät, dass die Dame es vor kurzer Zeit mit aller Kraft in Bewegung gesetzt hat.
Nun sitzt sie, die Hände in ihren beigen Mantel gesteckt regungslos da und dreht sich im Kreis.
Ihre Miene ist völlig versteinert und sie scheint in Gedanken verloren zu sein. Das Ringelspiel dreht sich weiter und scheint sich in keinster Weise zu verlangsamen. Es ist erstklassig geölt und zeigt keine Ermüdungserscheinungen.
Mit jeder weiteren Umdrehung wirkt die Dame auf ihn trauriger. Die Leere in ihrem Gesichtsausdruck stimmt ihn nachdenklich und er wünscht ihr insgeheim, dass im nächsten Augenblick ihre Familie oder auch ein tollpatschiger Hund erscheint um die Szene zu verfröhlichen. Dem ist aber nicht so und die Dame dreht sich weiterhin einsam im Kreis. Nach vielen dutzend Runden mit ihrem versteinerten Passagier, scheint das Ringelspiel nun tatsächlich die Geschwindigkeit zu reduzieren. Dies macht den Anblick sogar noch ein Stück weit trister. Zuvor war zumindest noch Geschwindigkeit im Spiel und die Haare der sonst versteinerten Dame tanzten im Wind. Jetzt dreht auf dem weiterhin verlassenen Spielplatz die Dame regungslos ihre immer langsamer werdenden Runden.
Einige Minuten dauert die Szene bereits. Das Ringelspiel absolviert nun schleppend seine letzten Runden bevor es zum Stillstand kommt.
Bevor Mates einen weiteren, mit Traurigkeit und Einsamkeit verbundenen, Gedanken formulieren kann, passiert jedoch etwas Wunderbares.
In dem Augenblick als das Ringelspiel zum Stillstand kommt, erhellt sich das Gesicht der Dame und ein breites Lächeln ist zu sehen. Plötzlich ist sie nicht mehr Mitte vierzig, sondern höchstens Mitte dreißig wobei sie eigentlich wie ein sorgloses Kind wirkt, dass sich einfach des Lebens freut.
Sie ist wahrlich das blühende Leben und aus der Perspektive von Mates scheint auch die ganze Umgebung plötzlich aufzuhellen.
Die Dame steigt aus dem Ringelspiel aus, schnappt sich ihren Einkauf und spaziert zielstrebig los. Als sie gerade direkt an Mates vorbeigeht, hört er den Beginn ihres Telephonats in dem sie jemandem sagt, dass sie alles besorgt hat und in fünf Minuten eintrifft und sie gemeinsam kochen können.
Mates freut sich gewaltig, dass er die Situation völlig falsch interpretiert hat und erlaubt sich am Heimweg auch noch ein paar Runden auf dem Ringelspiel.