Über die positive Kraft negativer Gefühle
Vor kurzem war ich auf einer Veranstaltung, auf der neben ein paar eher nüchternen Vorträgen über „The science of love“ und „The science of sex“ auch Lieder über die befreiende Kraft des Nacktseins gesungen wurden und das Publikum zu allerlei Übungen eingeladen war, zum Beispiel dem Nachbarn in die Augen zu schauen und ihm/ihr dann zu sagen, was einem an einem selbst gefällt. In einem der Vorträge dort ging es um „fear and resistance“ – um Furcht und Widerstand. Dass man sie überwinden müsse, um mit Menschen in Kontakt zu kommen, um Frieden zu schaffen und glücklich zu sein.
Da ich ziemlich Esoterik – avers bin regt sich bei mir bei solchen Veranstaltungen schnell mal – ja genau – Widerstand. Das kenne ich schon von mir. Ich finde das dann blöd und peinlich und will es nicht hören. Diesmal wollte ich mich zumindest mal ernsthaft damit auseinandersetzen und das Gehörte wohlwollend prüfen. Und ja, es stimmt schon: Widerstand hält einen manchmal von den schönsten Erlebnissen ab und Furcht, ja wenn man die überwindet, wird man nicht selten belohnt. Trotzdem: das Unbehagen blieb.
Am Abend habe ich das noch mit ein paar anderen Festival-Besucherinnen diskutiert und da sagte eine „Wieso, „Resistance“ ist doch etwas ganz Wichtiges, gerade im politischen Kontext“. Und jemand anders ergänzte: „Wenn wir uns nicht fürchten würden, wären wir schon alle tot“. Recht haben beide. Ich habe darüber noch in einem anderen Zusammenhang nachgedacht – in Bezug auf Kontakt mit anderen Menschen. Vielleicht sogar auf körperlichen Kontakt. Muss ich den Widerstand, den ich beim Gedanken an Kontakt mit bestimmten Menschen spüre, überwinden? Entgeht mir etwas, wenn ich es nicht tue? Gefährde ich gar den (Welt-)Frieden? Oder ist dieser Widerstand, dieses Nein etwas, was zunächst mal einfach so sein darf? Muss ich mich fragen, warum ich ein Nein fühle oder darf ich es einfach so hinnehmen.
Gerade wenn es um Berührung und ja auch Sexualität geht, ist uns hoffentlich allen nicht erst seit MeToo klar, dass ein Nein in jedem Fall zu respektieren ist. Doch um dieses Nein aussprechen zu können, muss ich es zunächst einmal selbst fühlen können. Ich muss mir eingestehen, dass ich diese Person unangenehm finde, dass ich sie ablehne, sie vielleicht sogar hasse (schlimmes Wort in einem Blog über Liebe, ich weiß). Oder dass ich sie zwar mag, aber dass ich sie trotzdem nicht berühren mag. Oder dass ich zwar da von ihr berührt werden mag aber nicht dort. Oder dass ich zwar gestern gerne mit ihr zusammen war, aber es heute nicht (mehr) bin. Wenn ich mir das alles eingestehe, wenn ich mir meinen Widerstand eingestehen – dann kann ich Nein sagen. Das ist nicht angenehm. Damit verletze ich vielleicht jemanden. Das wird sich nicht immer vermeiden lassen. Aber meinen Widerstand zu achten hat zwei große Vorteile : ich achte mich selbst (das ist nicht zu unterschätzen, das ist wichtig, um genug Kraft zu haben für unsere anstrengenden Leben und die Menschen, die wir lieben und die uns brauchen) und vor allem: nur wenn ich Nein sagen kann, kann ich auch aus ganzem Herzen Ja sagen. Und Ja zu sagen. aus ganzem Herzen zu einer Begegnung mit einem Menschen ist ein wunderschönes Geschenk! Für beide!
Zum Schluss will ich dazu anregen, konkret zu werden. Was könnte es bedeuten, wenn wir auch und gerade in der Weihnachtszeit unsere negativen Gefühle achten würde. Unsere Trauer über Verletzungen, unsere Angst, unsere Wut, unsere Überforderung, unsere Ablehnung, unseren Widerstand. Wenn wir uns vornehmen würden, sie zu akzeptieren, sie einmal nicht zu hinterfragen, vielleicht sogar nach ihnen zu handeln. Welches Nein würde das nach sich ziehen? Aber vor allem: Welches Ja würde es ermöglichen?