Die Verabschiedung
Etwas später als gewohnt begebe ich mich an diesem Mittwochmorgen Ende November außer Haus. Ob des heftigen Regen in der vergangenen Nacht, entscheide ich mich gegen den Fußweg durch den, mit Sicherheit etwas schlammigen und den Schuhen nicht zuträglichen, Park und für die Anreise ins Büro mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Neben einem einzigen roten und einem hellbeigen Wintermantel, erwartet mich in der Garnitur der U6 ein Meer aus winterlichen Grau-, Blau- und Schwarztönen. Ich stelle mir vor, dass es im Inneren all dieser Menschen genau gegengleich aussieht. Viele farbenfrohe Gedanken und erfreuliche Überlegungen und nur vereinzelt düstere Stimmung.
Die meisten Fahrgäste sind auf dem Weg in die Arbeit. Darunter mischt sich noch eine handvoll Schulkinder, die sich in Ihrer Hoffnung einig sind, dass im Turnunterricht ausschließlich Fußball gespielt werden wird.
Ein elegant gekleidetes altes Ehepaar ist, den aufgeschnappten Wortfetzen nach, am Weg zu einem gemütlichen Frühstück mit Jugendfreunden.
Mir gegenüber unterhalten sich Mutter und Tochter. Die Gewissheit über den Verwandtschaftsgrad liefern die identen Gesichtszüge, die selbst ob des Altersunterschied eindeutig zu erkennen sind. Das Gespräch lässt mich wissen, dass die Tochter in der Früh am Weg zur Universität ein Buch bei der Mutter abgeholt hat, welches Sie für eine Arbeit zitieren möchte.
Bevor ich noch andere Fahrgäste belauschen und beobachten kann, fährt die U-Bahn in die nächste Station ein. Einige wenige Fahrgäste steigen aus. Hier trennen sich auch die Wege von Mutter und Tochter.
Die Mutter eilt jedoch nicht sofort davon, sondern bleibt am Gleis stehen und winkt Ihrer Tochter energisch und anhaltend zu. Die Tochter erwidert das Winken mit einer Ihr ins Gesicht geschriebenen Freude.
Es schließen sich die Türen der U-Bahn doch wir treten nicht den Weg zur nächsten Station an – die Weiterreise verzögert sich und wir bewegen uns keinen Zentimeter.
Mutter und Tochter brechen das Verabschiedungswinken jedoch nicht ab. Mit jeder gewunkenen Sekunde die die Situation anhält, müssen die beiden mehr und mehr Schmunzeln. Als sich die U-Bahn schließlich nach einer halben Minute doch in Bewegung setzt, brechen Mutter und Tochter jeweils in ein lautloses Lachen aus. Als die Mutter schon fast aus dem Bildausschnitt verschwunden ist, zwinkert Sie Ihrer Tochter zum Abschluss noch einmal zu.
Vielleicht wird diese Szene mir länger in Erinnerung bleiben als den beiden Protagonistinnen und ist auch für den oder die LeserIn nur eine zufällig beobachtete Szene. Für mich steckt in dieser Verabschiedung jedoch sehr viel Schönes.
Zeige den Menschen, die dir wichtig sind, dass du sie gern – sehr gern – ausgesprochen gern hast oder gar liebst. Erwidere Empfangenes. Lass dich dabei nicht davon abhalten, dass dies jemand anderer beobachten könnte.
Habe Humor. Dann wirst du selbst an einem Mittwoch in der Früh am Weg in die Arbeit mit einem Lächeln durchs Leben gehen können.
Außerdem habe ich sofort meine Mama angerufen und mich zum Abendessen angekündigt.