Letztes Jahr habe ich einen Beitrag über die Zunahme psychischer Erkrankungen in der Postmoderne geschrieben. Ich wählte dieses Thema wahrscheinlich, weil ich selbst unter einer chronischen depressiven Stimmung (auch Dysthymie) leide. Zeitweise hatte ich auch Angst,- und Panikattacken sowie Phasen von Derealisation. Die Dysthymie hört sich schlimmer an als sie ist. Es gibt Phasen, manchmal ist sie mehr, manchmal weniger, präsent. Und zeitweise, so wie jetzt, ist sie fast völlig verschwunden. Als sehr belastend hingegen erlebte ich die Panikattacken und die Derealisation. 2019 war ein Jahr wo ich viele Phasen hatte in denen es mir so ging. Und dies wird auch der Grund gewesen sein, warum ich dieses Thema wählte.
Heuer möchte ich darüber berichten was ich für mich im letzten Jahr gelernt habe. Über mich und über den Umgang mit mir selbst. Entscheidend waren für mich drei Dinge:
1: Triff Entscheidungen
2: Prokrastiniere nicht
3: Lass Gefühle zu
Ich bin ein sehr unsicherer Mensch. So gefestigt ich auf viele Leute wirke, so unsicher bin ich oft innerlich. Und so sehr schwanke ich auch in meinen Einstellungen. Ich habe jahrelang keine Entscheidung für meine Zukunft getroffen. Immer waren die Themen der zukünftigen Wohnsitznahme (in Wien, am Land, Haus oder Wohnung…) präsent. In einem Monat war ich der Meinung, ich bleibe in Wien, im nächsten der, dass ich ganz sicher hier weg will. Und so trat ich auf der Stelle. Jahrelang. Dieses Jahr habe ich eine Entscheidung getroffen. Nicht nur dafür, sondern auch für den Mann, den ich liebe. Und auch wenn es immer noch Momente gibt, in denen ich zweifle, so bemerke ich doch, um wie viel besser es mir geht, seit das so ist.
Ein weiteres Thema für mich war das Aufschieben von unangenehmen Dingen, das Prokrastinieren. Sicherlich, vielen von uns geht es so. Wir alle erleben Phasen in denen wir Wichtiges liegen lassen. Aber ich habe das chronisch getan, mit immer mehr Dingen, sowohl beruflich wie privat. Das Ergebnis davon war eine durchgehende Anspannung 24/7. Wenn ich frei hatte, konnte ich nicht entspannen, weil ich wusste was im Büro noch an Unerledigtem auf mich wartet. Wenn ich arbeitete, konnte ich es nicht, weil ich an das Private dachte. Überall herrschte Chaos, äußerlich sowie innerlich. Der Schlüssel zur Lösung war eine 6-monatige Berufspause, die mich zwang, vor deren Antritt bis auf die letzte Kleinigkeit alles zu erledigen. Im Anschluss hatte ich Zeit. Viel Zeit. Ich konnte nun das Chaos in mir ordnen, meine Prioritäten für mein Leben setzen. Und ich konnte endlich durchatmen.
Dies führt mich zum letzten Punkt: Gefühle zulassen. Wer so vieles vor sich herschiebt, hat keinen Platz für das Verarbeiten von Dingen, die außerhalb davon auf einen zukommen. Es wird verdrängt, man fühlt es nicht. Oder es kommt immer wieder hoch. Ich habe in diesen 6 Monaten mehr nachgefühlt und verarbeitet als jemals zuvor. Vieles davon war mir gar nicht mehr bewusst. Ich weiß noch immer nicht woher meine zeitweisen depressiven Phasen kommen. Aber ich weiß, dass meine Panikattacken und die Derealisation ein Ausdruck von ungelebten Gefühlen, von Verdrängung, und von Aufgeschobenem waren.
Dieser ganze Prozess führte dazu, dass ich mich nun frei fühle. Der Spruch „innere führt zu äußere Ordnung“ hat für mich nun eine ganz andere Bedeutung. So schön dieses Jahr war, mit meiner Berufspause, mit den Unternehmungen und Reisen (soweit dies aufgrund von Corona möglich war), so belastend war es auch auf anderen Gebieten. Der beste Freund meines Verlobten ist gestorben. Meine Großmutter liegt im Sterben. Der Terroranschlag von Wien hat mich sehr getroffen, weil ich auch beruflich damit zu tun hatte und habe. Das alles sind natürlich Dinge, die mich belasten. Aber nun bin ich innerlich geordnet. Ich erledige die Dinge die anstehen. Und ich weiß was ich will. Ein strukturiertes Leben, äußerlich wie innerlich, und eine Entscheidung für einen Weg führen dazu, dass ich mit Schicksalsschlägen nun besser umgehen kann. Ich habe Platz und Raum mich ihnen zu widmen.
Für mich waren die drei oben genannten Dinge der Schlüssel zu einem alternativen Umgang mit mir und meinem Leben. Psychische Erkrankungen sind vielfältig. Die Gründe dafür sind so verschieden, wie die Art des Erlebens bei den Betroffenen. Aber vielleicht gibt es ja doch den/die eine/n oder andere/n LeserIn dem/der es ähnlich geht. Und ganz vielleicht hilft mein Text ihm oder ihr auch ein bisschen. Einen frohen Advent euch allen.