Türchen 24 (von Marcel)

Lasst uns Liebe machen!

Eine liebe Freundin hat mich vor zwei Wochen gefragt, “Was ist eigentlich die Definition für Liebe für dich, weil mich das in letzter Zeit beschäftigt?”. Meine Antwort nach kurzer Überlegung war, dass ich das nicht so schnell beantworten kann, der Begriff Liebe viel zu gigantisch für eine einfache Antwort wäre. Also begann ich zu schreiben und währenddessen dachte ich, das ist doch ein perfektes Thema für den 24.12.

Gefühlt unendlich mal gespürt, gesehen, behandelt und besprochen und noch immer wissen wir nicht, was Liebe ist. Oder besser gesagt, wir alle glauben es zu wissen, aber wenn wir es in Worte fassen möchten, merken wir, was wir alles persönlich ausschließen, vergessen und wo wir uns überall unterscheiden. Die Liebe ist manchmal so eindeutig, im Allgemeinen aber so unklar oder auch genau umgekehrt. Vielleicht weil Liebe auch subjektiv immer etwas anderes bedeutet. Sie ist konstant, gleichzeitig auch immer in einem Prozess der Veränderung im Laufe unseres Lebens. Werden wir es also überhaupt jemals wissen und gibt es eine eindeutige Antwort darauf? Eher nicht, aber ich kann es ja auch mal versuchen.

Unsere erste Liebe ist die zu und von unserer Mama, später kommen Papa, Familie und FreundInnen hinzu. Diese Liebe unterscheidet sich vom Gefühl her von der ersten romantischen Liebe, in der im Körper so unglaublich viel passiert und die auch so schmerzhaft und destruktiv sein kann. Diese Intensität nimmt in der Regel mit steigendem Alter ab, Beziehungen werden rationaler, aber die Liebe bleibt bestehen. Irgendwann kommt dann vielleicht die Liebe zu den eigenen Kindern, welche sich wiederum ganz anders anfühlt. Alles ist Liebe, aber immer auf eine eigene Art. Neben den beschriebenen Lieben kommt die Liebe zu Tieren, Gott, zur Natur, zur Heimat oder auch zu einem Fußballclub. Diese Liste lässt sich ewig fortführen. Lieben kann man also alles?!

Was die Liebe noch weniger greifbar macht, ist, dass sie aus Sicht der Evolution nicht erklärbar bzw. notwendig ist. Zudem werden aus Liebe Entscheidungen getroffen, die zum Nachteil für einen selbst und die Fortpflanzung sein können. Auch weiterhin Liebe für einen Verstorbenen zu empfinden, ergibt aus dieser Perspektive keinen Sinn. Wissenschaftler wollen schon seit Ewigkeiten die Liebe erforschen, aber die Liebe lässt sich nicht endgültig quantifizieren. Wir können einige körperliche Veränderungen messen (Gehirnaktivitäten, Hormone etc.), aber allumfassend sind sie bei weitem nicht. Hier wird es insbesondere in der Zukunft spannend werden, wenn Künstliche Intelligenz (KI) mit Liebe ausgestattet werden bzw. empfinden soll. Ist das überhaupt möglich? Könnte eine KI Liebe spüren oder könnte sie sie einfach nur kopieren? Ist es denkbar, dass eine KI eine Entscheidung aus Liebe gegen ihre Programmierung treffen könnte oder wäre das nur möglich, wenn auch diese Gegenentscheidung selbst einprogrammiert wäre? Wenn sie aber Liebe perfekt nachahmen könnte, wäre es dann nicht auch Liebe, wo wäre im Endeffekt der Unterschied? Hier könnte man wahrscheinlich ein ganzes Leben lang sehr kontrovers (und sehr hitzig) philosophieren. Würde sich die Liebe am Ende jedoch nicht als einzigartig und etwas unnachahmliches herausstellen, wäre das sicher die vierte Kränkung der Menschheit nach der laut Freud kosmologischen Kränkung (die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls), der biologischen Kränkung (der Mensch ist aus der Tierreihe hervorgegangen) und der psychologischen Kränkung (ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens entzieht sich der Kenntnis und der Herrschaft des bewussten Willens). Und ich denke sogar, es wäre die Größte. Aber noch ist es ja nicht soweit und ich persönlich hoffe, es wird nie soweit sein, weil es den Sinn unseres Lebens aus meinem Gesichtspunkt beträchtlich wanken lassen würde. Denn für mich ist die Liebe das Wertvollste, was wir Menschen besitzen, geben und erhalten können und es ist für mich nicht denkbar, dass wir ohne Liebe (passiv wie aktiv) überhaupt jemals ehrlich glücklich werden können.

Eine Abnutzung hat der Begriff aber definitiv schon hinter sich, da er in der heutigen Zeit inflationär verwendet und missbraucht wird. Er ist das Fundament ganzer Industrien, eine echte Cash-Cow (Valentinstag, Weihnachten uvm.). Auch Hollywood hat den Begriff der Liebe definitiv verändert, obwohl es schon seit Ewigkeiten philosophische Werke und Bücher über die Liebe gibt. Die Liebe ist von der Wahrnehmung her oberflächlicher geworden, etwas das man schnell mal sagen kann. Ich denke Liebe kann sehr vieles sein, sollte aber nicht verwechselt werden, mit vielen Emotionen unserer menschlichen Schwäche. Eifersucht ist da ein gutes Beispiel, die immer wieder als Gradmesser für Liebe herhalten muss. Es heißt dann immer „eine gesunde Eifersucht muss schon da sein, sonst ist da ja keine Liebe“. Stimmt das wirklich? Ich würde das verneinen, weil Eifersucht viel mehr mit einem selbst zu tun hat, als mit dem/der „Gebliebten“. Es geht um Besitzdenken, mangelndes Selbstwertgefühl, Abhängigkeit oder Übertragungen. Zu einer weiteren Verwunderung führt immer wieder, dass im Namen der Liebe so viele Gräueltaten begangen werden. Ich denke, hier können wir uns aber einigen, dass es keine Liebe sein kann, für einen anderen Menschen, eine Nation oder einen Gott Gewaltverbrechen zu begehen?! Liebe und Hass sind hier ganz nah beieinander und werden in diesem Fall gerne verwechselt. Liebe wurde immer schon missbräuchlich verwendet, um falsches Verhalten zu rechtfertigen und das wird sich wohl auch nicht ändern.

Es gibt ja den Spruch „Liebe macht blind“. Ich denke, Liebe macht diejenigen blind, welche die Augen zu haben und echte Liebe lässt uns erst wirklich sehen. Fühlen wir uns bei echter Liebe nicht dem Universum, den Menschen und unserer Natur so nah wie sonst nie? Wenn man einen geliebten Menschen im Arm hat, wenn man vom Berg schaut oder das Meer betrachtet, dann möchte man am liebsten die Zeit anhalten und das Gefühl auf ewig konservieren. Es ist dieses Gefühl der Unendlichkeit, nach dem wir im Leben Streben und welches wir erreichen möchten. Ist Liebe also nicht die Essenz unseres Lebens?

In theistischen Religionen spricht man deshalb auch von der Liebe zu Gott und Gott selbst ist die Liebe. Im Islam wird Jesus von Nazaret (Isa bin Maryam) als der „Prophet der Liebe“ gesehen. Im Buddhismus ist Liebe ein reines Gefühl, das einem anderen Lebewesen ganz selbstlos entgegengebracht wird. Man verspürt ein großes Wohlbefinden in dem Wissen, dass man niemandem Schmerz oder Leid zufügt, sondern jemandem Freude bereiten möchte. Diese Definition gefällt mir sehr gut und kommt auch meiner persönlich Definition von Liebe sehr nahe. Liebe hört für mich da auf, wo es nur um mich geht. Natürlich muss man sich (erst) auch selbst lieben, aber das ist etwas anderes. Hier geht es eher um Selbstwert, Selbstachtung und Akzeptanz des eigenen Ichs. Liebe ist Verbundenheit, Übernahme von Verantwortung, ohne das zwanghafte Vorhandensein von Erwiderung, sie ist Zuneigung, Vertrauen, Zufriedenheit, Akzeptanz und Respekt. Ach, sie ist so viel, ergänzt einfach selbst weiter. Sie kann sich auch unendlich vermehren, wie wir am Beispiel der Kinder am besten sehen können. Ein zweites Kind halbiert die Liebe nicht, sondern verdoppelt sie. Liebe kennt keine Grenzen und wenn man es nur zulässt, wird die Liebe sich entfalten und ständig erweitern. Und das schönste an der Liebe ist, dass jede/r sie fühlen kann, sie umsonst, aber gleichzeitig das Kostbarste ist, was wir besitzen können und dass sie alle Menschen gleich macht und alle gleich behandelt. Die Liebe ist weiterhin eine mystische Konstante.

Und Liebe lässt einen spüren, dass man gemeinsam mehr ist, als sie Summe der Einzelteile. Wie der Blogsinn Adventskalender das insbesondere in diesem Jahr perfekt demonstriert hat. 23 Menschen haben geschrieben, gemalt oder musiziert. Es war der bisher persönlichste Adventskalender und spiegelte wieder, wie schwer dieses Jahr für so viele von uns war. Ich bin so unglaublich dankbar für eure Offenheit. Ihr habt uns berührt und mitfühlen lassen. Ich bin wirklich sehr glücklich, so wunderbare Menschen wie euch zu kennen. Und so viele von euch habe ich viel zu lange nicht mehr gesehen, ich vermisse euch und hoffe, euch sehr bald wiedersehen zu können.

Zum Abschluss hätte ich noch ein Wunsch an euch alle mit der großen Bitte, ihn mir zu erfüllen. Bitte geht nachdem ihr diesen Text gelesen habt, zu einem Menschen, der euch was bedeutet und nimmt diesen in den Arm und verkündet eure Liebe oder Zuneigung. Oder falls das nicht geht, ruft an oder schreibt. Vielleicht jemanden, dem/der ihr es schon (zu) lange nicht mehr gesagt habt, was die Person für euch bedeutet? Etwas das ihr in euch versteckt habt und raus möchte, aber aus irgendeinem Grund nicht raus konnte/durfte. Nun lasst es frei und schenkt zum Abschluss des Jahres ein bisschen Liebe.

Und so beginne ich auch selbst gleich mit einer Liebeserklärung an alle Türchen:

Lieber Jörg, ich danke dir, weil du mich in einer Phase in meinem Leben, in der ich besonders offen und verletzlich war, sehr behutsam und vertrauensvoll behandelt hast und damit meine positive Selbstfindung überhaupt erst (mit)ermöglicht hast.

Liebe Olga (liebe Mama), ich danke dir, für so unglaublich viele Sachen, sie lassen sich gar nicht alle aufzählen, aber am meisten, dass du einfach immer für mich da bist, immer zu mir hältst und mich einfach niemals in Frage gestellt hast.

Liebe Frieda, ich danke dir, weil du ein Vorbild für mich und so viele bist und dass du mit so viel Energie für unsere sexuelle Freiheit kämpfst.

Lieber Cimo, ich danke dir, weil du ein so ehrlicher und anständiger Mensch bist, den jeder gerne in seinem Leben weiß und als Freund bezeichnen möchte.

Liebe Jasmin, ich danke dir, weil auch du ein Vorbild für mich bist, an Stärke und Durchhaltevermögen. Ich persönlich kenne niemanden, der/die in seinem/ihrem Alter so viel durchgemacht hat, so viel Verantwortung übernehmen musste und das alles so unglaublich gut gemeistert hat.

Liebe Susanne, ich danke dir, dass du mein Berufsleben bereicherst, mich immer wieder zum Lachen bringst und nun schon so lange eine Wegbegleiterin meines Lebens bist.

Liebe Elena, ich danke dir, für deine große Achtsamkeit gegenüber den Menschen sowie der Natur und deinen Kampf für eine nachhaltige Zukunft.

Liebe Christine, ich danke dir, einmal für das, was ich schon Jörg geschrieben habe, aber auch für deine unvergleichbare Art, Dinge so wunderbar objektiv zu betrachten und eine grandiose Brückenbauerin zu sein.

Lieber Florian, ich danke dir, für deine herzliche Art und dass du uns so schnell mit offenen Armen in dein Leben gelassen hast. In der relativ kurzen Zeit, seit der wir uns kennen, habe ich dich schon in mein Herz geschlossen und freue mich auf unsere weitere gemeinsame Zeit.

Liebe Teresa, ich danke dir, dass du meine Wegbegleiterin und Motivatorin warst, in einer Zeit, als ich das gebraucht habe, um heute hier stehen zu können. Außerdem genieße ich deine lustige und liebe Art, mit der du deinen Mitmenschen immer ein gutes Gefühl gibst.

Lieber Erdogan (lieber Baba), ich danke dir, dass du die Wurzeln zu meinen kritischen Geist gesetzt hast und für deine schönen und humorvollen Geschichten. Du schaffst es auf eine besondere Art, Menschen zum Nachdenken zu bringen.

Lieber Richard, ich danke dir, für deine ruhige und unaufgeregte Art sowie für deinen unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit, Gleichbehandlung und Umweltschutz. Du machst unseren Arbeitsplatz, unsere Stadt und unsere Welt zu einem besseren Ort.

Dear Ben, thank you, for being such a lovely, kind, funny and good hearted person. Everybody enjoys to be around you. I am so happy to have you as a brother.

Lieber Sebastian, ich danke dir, dass du etwas, wo ich so viel Liebe hineingesteckt habe, mit so viel Herzblut übernommen hast und nun schon lange selber mit Liebe befüllst. Es ist eine besondere Verbundenheit, die ich dadurch zu dir spüre. Außerdem bewundere ich deine Gutmütigkeit und deine wunderbar positive Einstellung.

Lieber Corinna, ich danke dir, für deine Herzlichkeit, deinen Humor und dein stetiges Bestreben, den Menschen um dich herum eine Freude zu machen. Die Welt dankt dir für deine köstlichen Süßspeisen. Du bist eine wunderbare Kollegin, aber auch außerhalb der Büroräume eine wichtige Bereicherung meines Lebens.

Lieber Bernhard, ich danke dir, für unsere Kaffeetscherl-Pausen, für deine Musikanekdoten und deine Musik, für deinen klugen Geist, deinen Humor und für unsere regelmäßigen Gespräche, in denen ich immer viel mitnehme und öfters auch mal was über mich lerne.

Dear Alba, thank you, for being such a helpful and trustful person who never judges. You are already a family member and an amazing example for strength and power for all people but especially for women.

Liebe Arnisa, ich danke dir, für so vieles, aber ganz besonders, für dein unglaubliches Vertrauen in mich. Dieses scheint beinahe unmenschlich und gibt mir ein wahnsinnig schönes Gefühl der Geborgenheit, so jemanden hinter mir zu wissen. Du warst immer für mich da und akzeptierst alle meine Facetten (auch die weniger guten). Ich danke dir, dass du mich als Mensch hast wachsen lassen und mir in schwierigen Zeiten immer beigestanden bist.

Lieber Gerry, ich danke dir, weil du die Verlässlichkeit in Person bist und mich mit deinem ironischen Humor häufig zum Lächeln bringst. Du hast eine natürlich stressreduzierende Art an dir, die jedes Problem wieder erdet. Ich bin glücklich, einen so guten Freund und Kollegen zu haben.

Lieber Thomas, ich danke dir, für deinen spleenigen Humor und dein gutes Herz. Und danke, dass du einem beruflich wie auch menschlich immer mit Rat und Tat zur Seite stehst.

Liebe Francesca, ich danke dir, für deine lustige Art, für unsere ehrlichen Gespräche und das du auch in schwierigen Momenten immer das positive sehen kannst.

Liebe Somi, ich danke dir, für deine ehrliche, mitfühlende und sensible Art und dafür, dass du mit so viel Einsatz und Herzblut für Gerechtigkeit kämpfst.

Und zum Schluss Danke an die Inspiratorin des Beitrags:
Liebe Marianne, deine positive Art der Kommunikation habe ich mir ohnehin schon zum Vorbild genommen, zudem bist du ein sehr liebevoller Mensch, welcher einem sehr viel Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen entgegenbringt.

Ich wünsche euch frohe Festtage und einen guten Rutsch in ein hoffentlich gutes Jahr. Möge euer Herz im kommenden und in allen darauffolgenden Jahren immer voll mit Liebe in allen Facetten sein.

PS: Wir sehen uns wieder zum Burning Snowman am Samstag den 20.02.2021. So Corona es will!

Türchen 23 (von Somi)

So intensiv hat es sich wohl niemand dieses Jahr vorgestellt.
Es gab anstrengende Phasen und belastende Situationen für jeden. Für jeden irgendwie anders. Und dann gab es ein paar besondere oder sogar gerade wegen der speziellen Umstände hat es wohl auch besonders schöne Momente gegeben, die sonst gar nicht so möglich gewesen wären.

Die Zeit vor Weihnachten ist intensiv, sogar heuer, ohne die vielen Feiern und Aktivitäten, die es sonst immer gibt.
Hier nun ein paar Augenblicke für eigene Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, Pläne, Erinnerungen, Träume, Ziele, Augenblicke fürs Ausschnaufen oder Kraft tanken für das, was noch kommt. Oder einfach mal gar nichts.

 

 

 

 

 

 

Frohe Weihnachten! Viel Gesundheit im neuen Jahr und eine gute Zeit!

Türchen 22 (von Francesca)

When I was a child, I had a best friend (and she is still my bestfriend). In her kitchen, her parents (my godparents), had the following poetry handing on the wall.
I read it many times, and everytime, it gave me a sense of peace and balance. I did not read on purpose but it attracted me a lot.
Only now I understand why. 
As a kid, you might not understand everything, but it stick within me and more and more I could understand, internalize, and FEEL the meening. 
Perhaps, on top of all experiences I made and influences I received, this is also an additional reason why I am today the person I am. And I feel gratitude. I am nothing but normal, and I strive to be a good person, becoming herself versus the one I was supposed to be. 
I would like to share it with you , in this special time of the year.. and I wish you to find ‘your’ happiness, whatever it is, and particularly ‘yourself’, whoever that person might be.

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Desiderata

Gehe gelassen inmitten von Lärm und Hast und denke an den Frieden der Stille.

So weit als möglich, ohne dich aufzugeben, sei auf gutem Fuß mit jedermann.

Sprich deine Wahrheit ruhig und klar aus, und höre andere an, auch wenn sie langweilig und unwissend sind, denn auch sie haben an ihrem Schicksal zu tragen. Meide die Lauten und Streitsüchtigen.

Sie verwirren den Geist.

Vergleichst du dich mit anderen,

kannst du hochmütig oder verbittert werden,

denn immer wird es Menschen geben,

die bedeutender oder schwächer sind als du. Erfreue dich am Erreichten und an deinen Plänen. Bemühe dich um deinen eigenen Werdegang,

wie bescheiden er auch sein mag;

er ist ein fester Besitz im Wandel der Zeit.

Sei vorsichtig bei deinen Geschäften,

denn die Welt ist voller Betrügerei.

Aber lass deswegen das Gute nicht aus den Augen, denn Tugend ist auch vorhanden:

Viele streben nach Idealen,

und Helden gibt es überall im Leben.

Sei du selbst.

Täusche vor allem keine falschen Gefühle vor.

Sei auch nicht zynisch, wenn es um Liebe geht,

denn trotz aller Öde und Enttäuschung verdorrt sie nicht, sondern wächst weiter wie Gras.

Höre freundlich auf den Ratschlag des Alters,

und verzichte mit Anmut auf die Dinge der Jugend. Stärke die Kräfte deines Geistes,

um dich bei plötzlichem Unglück dadurch zu schützen. Quäle dich nicht mit Wahnbildern.

Viele Ängste kommen aus Erschöpfung und Einsamkeit. Bei aller angemessenen Disziplin,

sei freundlich zu dir selbst.

Genau wie die Bäume und Sterne,

so bist auch du ein Kind des Universums.

Du hast ein Recht auf deine Existenz.

Und ob du es verstehst oder nicht, entfaltet sich die Welt so wie sie soll. Bleibe also in Frieden mit Gott,

was immer er für dich bedeutet,

 und was immer deine Sehnsüchte und Mühen

in der lärmenden Verworrenheit des Lebens seien –

bewahre den Frieden in deiner Seele.

Bei allen Täuschungen, Plackereien und zerronnenen Träumen ist es dennoch eine schöne Welt.

Sei frohgemut. Strebe danach glücklich zu sein.

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Merry Xmas!!!!
F

*****some infos about this poetry***
Die Desiderata, auch als Lebensregel von Baltimore bezeichnet, ist ein Gedicht zum Thema „So führst du ein glückliches Leben“. Es wurde 1927 von Max Ehrmann (1872–1945), einem Rechtsanwalt aus Terre Haute, USA verfasst. Eine verbreitete Urban Legend behauptet, es stamme aus der Old St. Paul’s-Kirche, Baltimore 1692. Wörtlich bedeutet der Titel (von lat. desiderare, „ersehnen“, „wünschen“) etwa (Segens)wünsche. https://de.wikipedia.org/wiki/Desiderata_(Gedicht)

Türchen 21 (von Thomas)

Durch meine Freundin habe ich während der letzten zwei Jahre viele bereichernde Eindrücke in die katalanische Kultur erhalten. Wie überall in Europa, wird auch in Katalonien demnächst das Weihnachtsfest gefeiert, und zwar am 25. Dezember. Überall in Spanien bringen dann am 6. Jänner (bzw. am Vorabend) die „Heiligen Drei Könige“ (genaugenommen deren Pagen) die Geschenke in die Häuser.

In Katalonien gibt es zu Weihnachten noch eine andere, Jahrhunderte alte Tradition mit heidnischen Wurzeln, im Rahmen derer die Kinder auch schon kleine Geschenke erhalten: Es handelt sich dabei um den „Tió de Nadal“:

Der Tió ist ein kleiner Holzstamm bzw. Holzklotz, welcher in der Adventzeit (meist am 8. Dezember) in katalanischen Haushalten aufgestellt wird. Das klingt zunächst einmal etwas ungewöhnlich, wird es aber bei genauerem Hinsehen noch mehr.

Meist stützt sich der Tió auf zwei kleine Beinchen und schaut mit seinem aufgemalten Gesicht unter einer Decke hervor, welche ihn vor Kälte schützen soll. Über seinem Gesicht trägt er eine traditionelle, katalanische Mütze, die „Barretina“.

Während der Adventzeit füttern die Kinder den Tió mit kleinen Mahlzeiten, z.B. Mandarinen. Am 24.12. ist es dann soweit: Der Tió hat genug zu Essen bekommen und kann endlich seine Aufgabe erfüllen, nämlich Geschenke zu „produzieren“. Damit er dies auch ganz bestimmt tut, wird der Verdauung des Tió mit Stockschlägen nachgeholfen. Dazu wird immer auch ein Lied gesungen („la cançó de Tió“), welches sich von Region zu Region unterscheidet, aber meistens den Ausruf „Caga Tió!“ enthält.

Nachdem der Tió mit schlagkräftiger Unterstützung dann sein Geschäft verrichtet hat, wird das Tuch gehoben und alle freuen sich, denn es „riecht nach Geschenken“.

Die Geschenke unter das Tuch zu schieben und die Kinder abzulenken kann auf verschiedene Weise erreicht werden. Oft sind die Kinder in einem anderen Raum und singen Weihnachtslieder vor einer Krippe, bevor sie dann zum Tió gehen.

Mit diesem Einblick in das katalanische Weihnachtsfest wünsche ich euch schöne Feiertage und „Bon Nadal“!

Türchen 20 (von Gerry)

Liebe Leserschaft!

Die ehrenwerte Verpflichtung einen Begleittext zur Verlosung des Schnaps an Bernhard (oder gar jemanden anderen?) zu schreiben, trifft mich in einem eher ungünstigen Moment. Ich fühle mich erschöpft, erschöpft von diesem Jahr. Es wurde womöglich schon viel über die Besonderheiten dieses Jahres geschrieben und auch wenn ich generell schon eher zurückgezogen lebe, hat es mich schlussendlich schon ein bisschen belastet. Ich hab also kein großes Fazit oder gar eine Weisheit für dieses Jahr, ich bin einfach froh, dass ich gesund bin, Wohnung und Essen vorhanden ist und ich noch ein paar soziale Kontakte habe. Falls ich dann vielleicht noch ab und zu auf einen Berg kann, bin ich schon sehr dankbar und glücklich.

Sodala, nun zum Wesentlichen: Auch in diesen bewegten Zeiten hab ich meinen gealterten Körper zu diversesten und entlegensten Gebieten unseres weiten Landes bewegt, einzig zum Zwecke euch eine Möglichkeit zum Erhalt des Lebenselixieres der Alpen zu geben – es geht also wieder um Schnaps vom Sepp im Halblitergebinde. Die Regeln: Wer als Erster unten in den Kommentaren mindestens 8 von den 20 Aufnahmeorten hineinschreibt hat gewonnen. Da es Kritik von der EU-Wettbewerbsbehörde bezüglich verzerrende Marktbedingungen gegeben hat, gibt es eine Sonderanforderung an Bernhard: Dieser jener muss Bild 3, 12 und 15 zusätzlich erraten um die begehrte Flüssigkeit zu erhalten. Die Übergabe des Gewinnes wird Ende Jänner passieren, wo und wann wird bilateral mit der Gewinnerin bzw. dem Gewinner ausgemacht. Die Presse wird rechtzeitig informiert.

In diesem Sinne – Prost und schöne Weihnacht!

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Türchen 19 (von Arnisa)

I wasn’t sure what to write this year, but then Jörg´s Türchen, remembered me that I should be grateful for every day that I get to spend with people I love. So here we go ….

To be honest, I do not know and do not remember how I got to know you. You have been part of my whole life. Our mothers were good friends, so in a way or another we were always connected.

And then at the age of 13 we started our journey together, same class, high school and friends group. We lived together those crazy teenager years, had fun experiencing new things, feelings and emotions. We laughed and cried together, we grew up from girls to women. As life moves on, we also moved on.

We started university, two different countries, separate universities and new friends, but somehow we always had a way of picking up from where we left off, we always re-connected. I will always remember those warm summer nights, when we would talk for hours as if we were never apart, the feeling of being home with you and feeling myself is something that I always cherish in my heart.

As much as you want to plan your life, it sometimes surprises you with things that make you happier than you originally planed. And this is what happened to us, grown ups now living in the same city – how did that happened? We graduated into adult lives and problems. Adult jobs, responsibilities and tears. But also a lot of adult fun and adventures:).

Alba, you are more than a friend to me. You are my sister I never had, my partner-in crime, my other half, my soul-mate. You know me better than I know myself. You accept me for who and how I am, and tolerate my faults. We have laughed and cried together. You are always there for me, always. Together with you, I feel stronger.

You are part of my family.

You know everything – everything about me, but you don’t judge me for it. You never have.

You get me. You understand me. We understand each other. You know when I’m feeling down, you just know better. And I’m glad you know better, because sometimes I feel like no one understands me. But you always do. You always know what to say and what to do. And if you do not know, you are still there for me.

I love you Alba and I am happy to have you in my life. Your friendship is one of the most important things in my life as you make me a better person. Thank you for being you. For being the most wonderful best friend I could ever ask for. For agreeing – to be part of my crazy life. 

Türchen 17 (von Bernhard)

Weihnachten

ist der Tag an dem die kaputtesten Familien wieder zusammenkommen um Harmonie und Einigkeit zu demonstrieren. Die kaputtesten und am weitesten auseinander gelebten Familienmitglieder setzen sich an einen Tisch oder in eine Sitzgruppe und zeigen sich stolz gegenseitig auf ihren Smartphones Fotos von ihren Rasenmährobotern oder Weinkühlschränken, welche sie sich im bald vergangenen Jahr angeschafft haben. Mangels Zeit und/oder Wertschätzung sind sie im letzten Moment noch draufgekommen, dass sie noch kein Geschenk füreinander haben und schenken einfach das weiter, was sie im Vorjahr selbst geschenkt bekommen haben, was in der Regel entweder eine Schachtel Mon Cheri oder eine Schachtel After Eight ist, jene Süßigkeiten, die niemand mag und niemand isst, jeder aber geschenkt bekommt und wieder weiter verschenkt. Diese niemals oder zumindest nur selten geöffneten Schokoladenschachteln sind meistens auch schon abgelaufen, aber dies wird niemals oder zumindest nur selten bemerkt, da gerade bei Geschenken niemals das Ablaufdatum beachtet wird. Nie oder zumindest nur selten werden die geöffneten oder ungeöffneten Schachteln aufgrund des weit überschrittenen Ablaufdatums entsorgt, seltener aber doch wird die unbemerkt abgelaufene Schokolade sogar verzehrt. Der Ablauf der Schokolade wird beim Verzehr immer noch nicht bemerkt, da diese sowohl im verdorbenen als auch im unverdorbenen Zustand ohnehin nicht genießbar ist. Die Hersteller dieser in jedem Zustand ungenießbaren Schokolade – Ferrero respektive Nestlé – sind sich dieses Warenkreislaufes des Weiterverschenkens, welcher beinahe einem Perpetuum Mobile gleicht, bewusst und produzieren nur mehr in geringen Mengen um das System im Bedarfsfall speisen zu können, sollte versehentlich einmal eine abgelaufene Schokoladenschachtel entsorgt oder gar verzehrt werden.

Die kaputtesten, am weitesten auseinander gelebtesten und sich einander kaum mehr wertschätzenden Familienmitglieder laden sich zu Weihnachten gegenseitig zum Essen ein und saufen dazu Amaretto oder Eierlikör. Sie tun dies, weil sie sich dazu genötigt fühlen, da sie sich sonst zu sehr als kaputte Familienmitglieder fühlen, deren soziale Verwahrlosung schon so weit fortgeschritten ist, dass sie nicht einmal mehr zu Weihnachten (!) ihre kaputten Familienmitglieder besuchen. Dieses Weihnachten zwingt sie jährlich, widerwillig etwas zu tun, was sie sonst nie tun würden, dieses Weihnachten ist wie ein übermächtiger Krake, welcher es jedem verunmöglicht, sich ihm zu entziehen. Selbstversuche der bewussten Weihnachtsentziehung, in welchen die kaputtesten Familienmitglieder dieses Jahr einmal nicht besucht oder eingeladen werden, enden im einsamen Betrinken vor dem Fernseher, in welchem noch dazu die verordnete Inhaltsleere ausgestrahlt wird. Der Papst spendet Urbi et Orbi, Weihnachtsgala, Licht ins Dunkel. Hat man die bewusste Weihnachtsentziehung, die alkoholisierte Einsamkeit vor dem ödesten aller Fernsehprogramme einmal erlebt, fühlt man sich im nächsten Jahr um so mehr bemüßigt, die Alkoholexzesse wieder wie gehabt im kaputten Familienkreis fortzusetzen.

Und dann zieht dieses Jahr noch so ein Virus durch das Land, das die Leute nicht nur krank, sondern auch verrückt macht. Es macht die Kranken krank, vor allem aber die Gesunden verrückt. Die Gesunden, die nicht krank werden wollen einerseits, die Gesunden die den Kranken die Krankheit absprechen wollen andererseits. Am verrücktesten macht es aber die Gesunden, die jenen Gesunden die Gesundheit absprechen wollen, welche den Kranken die Krankheit absprechen wollen. Man könnte auf die Idee kommen, ein derart beherrschender äußerer Umstand wie dieses Virus könnte diesen anderen beherrschenden Umstand, dieses Weihnachten, in die Knie zwingen. Dieser andere Umstand, dieses Weihnachten, ist jedoch ein umso beherrschenderer Umstand, welcher mit dem diesjährig durch das Land ziehenden, ebenso die Menschen beherrschenden Umstand, dem Virus, eine friedliche Koexistenz führt.

Und so werden wir dieses Jahr wieder, wie gehabt, unsere kaputten Familienmitglieder treffen, uns gegenseitig abgelaufene Mon Cheri oder After Eight weiterverschenken, Amaretto und Eierlikör saufen, über Rasenmäh- oder Staubsaugroboter und Weinkühlschränke fachsimpeln und danach krank oder noch verrückter, in jedem Fall aber noch kaputter werden. In diesem Sinne – frohe Weihnachten!

Türchen 16 (von Co)

Ein gefühlt sehr langes Jahr neigt sich langsam dem Ende zu und dennoch lässt mich das Gefühl nicht los: „Schon wieder (so schnell) ein Jahr vergangen?“

Das bei weitem dominierende Thema, wie auch gut an unserem 🙂 diesjährigen Adventkalender ersichtlich wird, ist Covid-19. Nachdem ich schon vor ein paar Tagen mit dem Schreiben begonnen habe, habe ich ein paar Seiten später bemerkt, dass ich es einerseits kaum schaffen würde, in diesem Kontext nicht vor allem über Politik, Gesellschaft und auch Religion zu schreiben, andererseits sich der Text in meinem Fall unter „sudern auf hohem Niveau“ – als gelernte Österreicherin eine meiner Lieblingsbeschäftigungen – subsumieren lassen würde und zudem bestenfalls ein kleiner Ausschnitt aus den vielen, unterschiedlichen Aspekte wäre, die mich in diesem Jahr beschäftigt haben bzw. nach wie vor beschäftigen. Nach kurzer Kontemplation (ein schönes Wort, wie ich finde 🙂 ) will ich kurz über Gutes erzählen, bzw. – wenn man so will und weil mein „Fest des toten Flugtieres“ (aka Martinigansl / Thanksgiving) heuer leider nicht stattfinden konnte – etwas wofür ich unter anderem dankbar bin, was in einem so einschneidenden und in vielen Facetten traurigem und seltsamen Jahr tatsächlich auch passiert ist – ein paar Gedanken in aller Kürze.

Wir haben glücklicherweise einen durchaus großen und schon sehr lang bestehenden Freundeskreis, treffen uns oft mit Freundinnen und Freunden bzw. laden selbst sehr gerne ein. Ostern und „das Fest des toten Flugtieres“ sind Fixpunkte in unserem Einladungskalender, dazu kommt noch eine kleine Weihnachtsfeier mit Freunden und anlassbezogen Feiern oder Treffen einfach so. Im März konnte ich mir nicht vorstellen, wie irgend etwas davon heuer möglich sein sollte, aber mit dem Anspruch bestmöglich Abstand zu halten, um sich aber trotzdem nahe sein zu können, ist dann doch einiges gegangen, wie man so schön sagt: Ein paar Tauffeiern, ein paar kleinere Geburtstagsfeiern, Freunde treffen in kleinen Runden draußen und mein Zwillingsbruder hat geheiratet: Kurz nach Beginn des Lockdowns haben er und meine (mittlerweile) Schwägerin mir erzählt, dass sie sich verlobt haben und noch in diesem Jahr heiraten wollen. Ich habe mich sehr darüber und natürlich für sie gefreut. Zunächst war die Rede von einer „Corona-Hochzeit“ (was für ein Wort), nachdem es im Sommer aber wieder etwas besser ausgesehen hat, haben sie rund 120 Freunde und Familie zu ihrer Hochzeit im Herbst auf eine Burg eingeladen, die aber leider kurz davor wieder abgesagt werden musste. Sie ließen es sich nicht nehmen und heirateten in ganz kleinem Rahmen, dennoch war es eine wunderbar schöne Hochzeit. Nachdem sie am Standesamt, in Anwesenheit von ca. 10 Personen, „Ja“ gesagt hatten, ertönte Musik von draußen und die (eingeweihte) Standesbeamtin bat das Brautpaar, ihr zu folgen. Einige unserer Freunde hatten sich heimlich, ohne sonst jemanden davon zu erzählen (auch mir nicht, weil ich angeblich nichts für mich behalten kann – tz tz), aufgemacht und sozusagen die Hochzeit gecrasht, nach der Trauung, im Freien und mit Abstand, aber mit viel Sekt zum Anstoßen. Trotz der ca. 2 Stunden Anreise ließen sie es sich nicht nehmen, dem Brautpaar gratulieren zu können. Das hat mich außerordentlich gefreut und gerührt, für meinen Bruder und seine Frau, und auch die Demonstration, dass es auch in herausfordernden Zeiten Möglichkeiten gibt, ein bisschen etwas Positives aus schwierigen Situationen zu machen.

Türchen 15 (von Sebastian)

Der abenteuerlustige Mates Allwag
Eine kugelrunde Olive und die damit verbundene Erinnerung

Nach dem langen Flug hatte Mates es vorgezogen zuerst in sein Hotel zu fahren, seinen Koffer auszupacken und dann frisch geduscht und in ein frisches Hemd gekleidet den Tag in seiner geliebten Stadt zu beginnen.

Obwohl die hoteleigene Terrasse mitunter den schönsten Platz bot einen Kaffee und ein Frühstück einzunehmen, beschloss Mates in die Stadt zu fahren um sich in einem kleinen Kaffeehaus, welches er bei seinem letzten Besuch liebgewonnen hatte, zu stärken. Es war ein herrlich sonniger Tag und er war dankbar, seinen Strohhut mitgebracht zu haben.

Aus einem kleinen Radio über der Kaffeemaschine war Musik zu vernehmen, die er hier sehr passend fand, jedoch in seinen eigenen vier Wänden wohl nie gehört hätte.

Das Interieur verriet, dass das Kaffeehaus ursprünglich mit viel Geschmack und Liebe zum Detail eingerichtet worden war, in den vielen Jahren seit seiner Eröffnung jedoch kaum etwas erneuert oder ausgetauscht wurde. Hier fühlte man sich wohl.

Der in Eile aufbrechende Gast am Nachbartisch liess eine Ausgabe von Le Monde zurück. So beschloß Mates einen weiteren Tee anzuhängen und in Ruhe das Weltgeschehen zu studieren. Gestärkt und gut gelaunt machte er sich, ohne eine bestimmte Route zu verfolgen, in Richtung des kleinen Antiquitätengeschäfts unweit des Nationalmuseums auf.

Er mochte das geschäftige Treiben auf der Straße, die Zuckerwatteverkäufer als rosa Punkt auf der Bildfläche und die allseits entspannte Stimmung ob des Wochenendes.

Mates überquerte die Brücke und äußerte hier innerlich stets den Wunsch, dass seine, in dieser Stadt verspeisten Fische, aus einem ruhigeren Gewässer stammten und nicht von einem der zahlreichen Angler hier direkt aus dem Hafen emporgehoben wurden.

Er stand gerade mit Blick auf den Hafen da, die Hände auf dem Rücken gefaltet und in Gedanken versunken, als ein großer Lastwagen mit unangebracht hoher Geschwindigkeit über die Brücke raste.

Durch den Sog des eiligen Warentransportes wurde Mates der Strohhut vom Kopf gehoben und nach anfänglich turbulentem Flug segelte er nun seelenruhig in Richtung Wasser. Mates war es nicht gelungen den Hut zu ergreifen und so sah er seinen treuen Begleiter durch sonniges Wetter der letzten Jahrzehnte vermeintlich aus seinem Leben verschwinden.

Im Hafenbecken hatte jedoch ein junger Offizier der Wasserpolizei die Szene beobachtet und dirigierte sein kleines Motorboot in Richtung des soeben im Wasser gelandetem Hut. Er fischte ihn mit einer triumphierenden Handbewegung aus den Wellen und deutete anschließend Mates, dass er den Hut vor dem Ertrinken gerettet hatte.

Im ersten Augenblick war Mates unsicher ob er nun zusehen musste, wie der Hut zwar gerettet worden war, aber ab sofort einen neuen Besitzer hatte. Der junge Offizier jedoch deutete in Richtung des Endes der Brücke und gab Mates zu verstehen, dass sie sich dort treffen würden.

Dort angekommen wurde Mates tatsächlich wieder mit seinem Strohhut vereint. Er bedankte sich, schloß eine kleine Verbeugung an und wollte dem Retter gerne einen Schein zustecken, was dieser jedoch vehement verneinte und stattdessen den, noch Fremden, bat, ihn doch auf eine Unterhaltung und eine Stärkung in das Lokal seiner Schwester zu begleiten.

Vor Mates lag eine Szene wie aus seinem imaginären Bilderbuch dieser Stadt. Die Terasse war aus dunklem Holz gezimmert und das Dach bestand aus Weinreben die sich, nach jahrelanger Anstrengung, über die ganze Holzkonstruktion ausgebreitet hatten und gerade die richtige Menge Tageslicht durchscheinen liessen. Unterstrichen wurde die Gemütlichkeit dieses Ortes durch den üppigen Duft des zartlila Flieders.

Die Schwester des Hutretters, ebendieser und Mates unterhielten sich prächtig und aus der Küche wurden ihnen allerhand herrliche Speisen gebracht. Am Ende eines ausgiebigen Mahles, bei dem er erstaunlich viel Neues über seine geliebte Stadt gelernt hatte, saßen sie bei einer Schale Oliven und genossen den Sonnenuntergang.

Als Mates die sich zwischen seinen Fingern befindende und besonders kugelrunde Olive betrachtete, kamen ihm zwei Gedanken. Ein flüchtiger an das Pariser Urkilo und ein ihm viel bedeutenderer an einen Besuch letzte Woche bei seiner Großmama.

Nur dreiundzwanzig Stufen trennen seine Wohnung von ihrer und so hat er das große Glück, sie ausgesprochen oft besuchen zu können. Dies tut er auch und sitzt gerne bei ihr und unterhält sich mit ihr.
Bei dem Besuch vergangene Woche sprachen sie über die Obstbäume in ihrem Garten und wieviel Freude man an der eigenen Ernte hat. Sie sprachen über Theaterbesuche und den Lieblingsschauspieler seiner Großmama aus ihrer Jugend. Wie so oft sprachen sie auch über Bücher. Mates erzählte ihr von dem Gefühl, dass, je mehr er lese, desto mehr erkenne er, wie viel er nicht kenne. Wie viele Autoren und Autorinnen er noch nie in der Hand gehabt habe, wie viele Klassiker er noch nicht gelesen habe und wohl auch bis zum Ende seines Lebens nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Weltliteratur gelesen haben werde.

Daraufhin zitierte seine Großmama Blaise Pascal, demzufolge das Wissen einer Kugel gleiche und je mehr sich die Kugel durch Zunahme von Wissen ausdehne, desto größer sei die Berührungsfläche mit dem Unbekannten.

Für Mates ein wunderschöner Gedanke. Mag es im ersten Augenblick abschreckend wirken, mehr und mehr Unbekanntes um sich zu wissen, sieht er darin geradezu eine Aufforderung stets Neues zu entdecken, anderen und sich selbst Fragen zu stellen und eine möglichst große Berührungsfläche mit dem Unbekannten in sich zu tragen.

So erinnert ihn diese kleine, kugelrunde Olive an seine Großmama, bestätigt ihn in seiner Abenteuerlust und er genießt den lauen Sommerabend mit seinen beiden neuen Freunden in vollen Zügen. Das Leben ist großartig!