Am 18. Februar 2022 werde ich 40 Jahre alt.
40!
Vierzig!
Vier Null!
Soweit ist es also schon gekommen.
Knapp 15.000 Tage wandle ich dann schon auf der Erde, obwohl ich am Anfang eher getragen wurde. Ich habe ca. 120.000 Stunden geschlafen und bin am nächsten Tag glücklicherweise wieder in ein neues Leben aufgewacht. Ich habe ca. 45.000 mal eine Mahlzeit zur mir genommen und ca. 60.000 Minuten meine Zähne geputzt. Ich hatte ungefähr 2.000 mal Sex, Masturbation nicht eingerechnet, die Zahl erspare ich euch lieber 😉 und ich war über 30.000 mal kacken, die Zahl habe ich euch jetzt nicht erspart 😅. Sorry an euch und die Kläranlage 🤷♂️. Über 40 Jahre pumpt mein Herz das Blut schon durch meinen Körper, das sind ca. 1,5 Milliarden Herzschläge. Das muss man sich mal vorstellen!
Je mehr ich ausgerechnet und nachgeschaut habe, umso mehr habe ich realisiert, wie unglaublich diese Zahlen sind. Zahlenhöhen, die Jenseits unserer Vorstellungskraft liegen. Ein erwachsener Mensch besteht aus ca. 100 Billionen (100.000.000.000.000) Zellen, die im ständigen Dauereinsatz sind und sich teilen oder sterben. Meine Zellen werkeln nur für mich, was für ein Liebesbeweis für meine narzisstische Menschenseele. Sie machen das, damit ich die fantastischen Gerüche unserer Welt riechen kann, damit ich die vielen atemberaubenden Farben der Erde sehen kann, damit ich einen liebevollen Kuss auf meinen Lippen spüren kann, damit ich Musik hören sowie dazu tanzen kann und damit ich Liebe empfinden kann.
Ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, dass ich meinem Körper danke, dass er mir bisher so fantastische Dienste geleistet hat:
Von deinem ganzen Herzen, vielen Dank lieber Körper, dass du dich so gut um mich gekümmert hast! Ich wäre dir echt dankbar, wenn du noch ein paar Jährchen so weitermachen könntest, jetzt haben wir uns doch gerade erst richtig kennen gelernt. Hat eh lange genug gedauert. Und in letzter Zeit kümmere ich mich auch ganz gut um dich, findest du nicht?
40 Jahre, da denkt man schon mal über das eigene Leben und das Leben an sich nach, reflektiert, was man geleistet, erreicht oder eben nicht erreicht hat. Und man (zumindest ich) stellt fest, dass eigentlich nur das symbiotische Leben miteinander einen Sinn ergibt. Ein Leben ohne andere Lebewesen, andere Menschen und insbesondere ohne euch, es wäre nicht im Geringsten lebenswert.

„We exist together now!“, das steht auf einer kleinen Brücke, welche von Flodo über die Donauuferautobahn zur Neuen Donau führt. Ich überquere diese Brücke, wenn ich schwimmen, laufen oder spazieren gehe. Dieser Vandale (oder diese Vandalin) hat mich mit diesem kleinen Graffiti wirklich zum Nachdenken gebracht. Denn wenn man mal darüber nachdenkt, wie groß war überhaupt die Chance, dass wir in diesem Moment alle gleichzeitig existieren?
Dazu mal ein paar Mind-blow-Facts, die (zumindest für mich) einiges relativieren bzw. in einem anderen Licht erscheinen lassen:
Das Universum existiert seit ca. 14 Milliarden Jahren und wenn wir davon ausgehen, dass wir Menschen ca. 100 Jahre leben, dann ist das 0,00000071428571% der gesamten universellen Existenz. Unsere Ego-Existenz ist also nicht mehr als ein Lufthauch in einem gigantischen Wirbelsturm im Vergleich zur kosmischen Zeit. Und um „unsere“ Zeitverhältnisse zu verdeutlichen: Homo Sapiens bevölkern seit ca. 300.000 Jahren unseren Planeten, Dinosaurier lebten insgesamt ca. 190 Millionen Jahre auf der Erde.
Und die Wahrscheinlichkeit, mit menschlichen Augen überhaupt jemals das Licht der Welt zu sehen, ist ebenso klein. In jedem Samenerguss sind über 40 Millionen Spermien, das alleine ist ja schon mal ne Zahl, aber wie viele Samenergüsse hat ein Mann, bevor es eine Befruchtung gibt? Um nun unsere zeitlichen Überschneidungen zu berechnen, bräuchten wir Quantencomputer. Und um noch eins drauf zu setzen, wie groß ist dann die kosmische Chance, dass man sich in diesen einen Menschen verliebt hat oder seine FreundInnen gefunden hat?
Dennoch leben wir jetzt in diesem Moment alle zusammen. Das (gemeinsame) Leben ist ein Geschenk unermesslichen Ausmaßes, welches wir gar nicht in Worte fassen können. Spätestens in 150 Jahren lebt von uns 8 Milliarden niemand mehr, dann werden auf der ganzen Erde ausschließlich andere Menschen wandeln. Irgendwie verrückt und beängstigend, wenn man darüber nachdenkt. Aber es macht im Umkehrschluss auch unsere gemeinsame Zeit so wertvoll. Wir sind eine große Gemeinschaft der Gleichzeitiglebenden und auf fast schon auf magische Weise verbunden.
Um so schwieriger ist es, zu akzeptieren, dass wir sterben müssen. Ich schreibe es mal, um es mir selber zu verdeutlichen: „Ich, Serhan Marcel Bilgili, bin endlich und werde sterben!“. Vielleicht sogar noch heute, hoffentlich nicht, vielleicht erst in 50 Jahren, aber das ich sterbe, ist sicher! Ich bin keine Ausnahme! Ich sage es zur Sicherheit nochmal: „Ich bin keine Ausnahme!“
Ich werde (hoffentlich!!) meine Kinder, vielleicht Enkelkinder, FreundInnen und Familienmitglieder hinterlassen und ich werde unsere wunderschöne Erde hinter mir lassen. Auf dem Grillplatz werden andere Menschen ein Feuer machen, grillen, Musik hören, tanzen und sich an der gemeinsamen Zeit erfreuen. Andere werden in der Donau und den Meeren schwimmen und kurz untertauchen, um das Gefühl unter Wasser zu genießen. Andere werden die Sommerbrise auf ihrer Haut spüren und in der Hitze schwitzen. Der Schnee und Regen wird auf andere fallen. Der Blogsinn Adventskalender wird entweder von jemand anderem übernommen oder eingestellt.
Ich merke schon, meine Knochen werden schwächer, Verletzungen heilen langsamer, Wehwehchen nehmen zu. Der Gedanke, dass ich noch alles in meinem Leben machen kann, trifft schon länger nicht mehr auf alles zu. Manche Züge sind schon abgefahren, andere Züge bin ich schon gefahren. So habe ich z.B. schon Kinder und möchte keine weiteren. Das Gefühl, eine Schwangerschaft und Geburt zu begleiten und die ersten Schritte eines Kindes zu sehen, werde ich vielleicht in anderer Form nochmal erleben, aber wahrscheinlich nicht mehr als Vater. Auch das emotionale Chaos der ersten Liebe werde ich nie wieder erfahren. Solche vergangenen Momente werden im Alter immer häufiger, damit Frieden zu schließen, muss das Ziel sein. Natürlich schaue ich manchmal mit Neid auf die Jugend, aber meine Erfahrungen und meine heutige Weisheit würde ich niemals gegen Jugend eintauschen wollen. Jede Zeit hat ihre Berechtigung. Dankbarkeit, Genügsamkeit und Achtsamkeit sind Tugenden, welche nun immer stärker gefragt sind.
Mit dem Tod umzugehen, ist nicht einfach, man kann versuchen, sich darauf vorzubereiten und ich denke, das sollte man auch tun, aber die unbekannte Schwelle muss dann jede/r alleine übertreten und das macht Angst. Noch beängstigender, als der Tod selbst, ist für mich der Gedanke, die Menschen, die ich liebe, nicht mehr zu sehen. Das Leben loszulassen, es fällt einfach so unheimlich schwer. Aber so ist das Leben, der Tod ist ein natürlicher und vor allem notwendiger Teil davon. Ewiges Leben ist ein großer Widerspruch, denn ohne den Tod ist das Leben nicht möglich.
Einen Gedanken empfinde ich jedoch als tröstlich. Wenn ich dann tot bin, wird nach dem Energieerhaltungssatz meine Energie umgewandelt, geht aber nicht verloren. Ich werde wieder – obwohl ich es ohnehin schon immer war, auch wenn wir Menschen das nicht sehen – Teil der Natur. Vielleicht wächst ein Apfelbaum mit meiner Energie und die Äpfel werden von den Menschen nach mir gegessen, so wie ich die Energie der Lebewesen, die vor mir lebten, in mich aufnehme bzw. aus ihr entstanden bin. Somit sind wir alle eine Energie. Alles Metaphysische ist Hoffnung und Glaube, aber es ist schön, diesen Gedanken als Fakt zu haben. Er gibt mir ein beruhigendes Gefühl. Ich bleibe also. Wir alle bleiben.
Als Kind waren 40-jährige Menschen für mich uralte Aliens. Nicht vorstellbar, jemals auch nur annähernd so alt zu sein. 40 Jahre waren pures Spießertum mit Kaffee und Kuchen. Und jetzt siezen mich Jugendliche. Bisher mach ich sie meistens noch darauf aufmerksam und bitte sie, mich nicht zu siezen, aber das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Für 17-jährige sind alle zwischen 0 und 16 Jahre Babys und alle über 40 Jahre schon halb tot. Für sie bin ich doch längst Antik. Oder ich sage es lieber euphemistisch: „Ich bin in meinen besten Jahren!“
Ich habe es tatsächlich gesagt.
Soweit ist es also schon gekommen.
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Vielen Dank an alle Türchen für eure Energie, sie ist nicht verloren 😉, eure Offenheit und euer Herzblut. Und Danke an alle LeserInnen, ich hoffe ihr hattet beim Lesen genauso viel Freude wie ich. Ich hatte jedenfalls wieder Gänsehaut, an einigen Stellen Tränen in den Augen oder ein Lächeln im Gesicht. Es hat wieder unheimlich Spaß gemacht und es stellt sich ein leicht trauriges Gefühl ein, dass es wieder vorbei ist. Aber: Alles hat ein Ende!
Ich wünsche euch frohe Festtage, einen guten Rutsch und wunderbares neues Jahr, hoffentlich in Gesundheit und Freiheit. Ich liebe euch 😘.