Ich habe jemandem unvorsichtigerweise gesagt, ich könne übers Loslassen schreiben, woraufhin mich jemand beim Wort genommen hat und ich jetzt übers Loslassen schreiben muss. Dabei kann ich gar nicht übers Loslassen schreiben. Weil ich nicht loslassen kann. Und ich glaube das liegt daran, dass ich gar nicht festhalten kann. So wie eigentlich überhaupt niemand festhalten kann, zumindest nicht jemand anderen festhalten kann. Aber der Reihe nach.
Ursprünglich wollte ich so etwas schreiben wie: wir müssen gerade die Menschen, die wir lieben (manchmal? immer?) loslassen. Denn wir wollen ja, weil wir sie lieben, dass sie frei sind. Manchmal ist Loslassen aber sehr schwer. Weil wir die Menschen eben lieben und immer in unserer Nähe haben wollen. Dann müssen wir uns zwingen sie loszulassen, aus Liebe. Weil die höchste Form der Liebe eben ist, dass wir wollen, dass es der anderen Person gut geht. Und manchmal (immer?) geht es einer anderen Person eben erst gut, wenn wir sie loslassen. „Ich lass Dich so schnell nicht mehr los“ wird als Liebeserklärung verstanden. Kann aber auch eine Drohung sein.
Ganz besonders wichtig bei Kindern. Die lieben wir. Und die möchten wir immer bei uns haben. Das wäre aber das Schlimmste was wir ihnen antun könnten, dass sie glaubten, sie müssten immer bei uns sein. Also große Lebensaufgabe: aus Liebe loslassen lernen.
So in etwa wollte ich das schreiben. Vielleicht hätte ich mich sogar zu irgendeinem Kalenderspruch hinreißen lassen wie: „Was man liebt soll man loslassen – denn wenn es dann wiederkommt gehört es einem ganz.“
Klingt super, oder?
Ist aber ehrlich gesagt scheiße.
„..gehört es (er? sie?) einem ganz“. Ernsthaft? Niemand gehört einem ganz. Nicht mal ein wenig. Menschen gehören einander nicht. Sie gehören maximal sich selbst. Maximal. Oder sind einfach.
Die Vorstellung, dass Menschen anderen Menschen gehören können und vor allem dürfen, ist eine kolonialistisch-rassistische (Sklaverei) oder auch eine biblisch-partriarchale: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was sein ist .“ (9. und 10. Gebot). Das Weib als Besitz, genauso wie das Vieh und das Haus. Erst gehört es den Eltern, dann dem Ehemann (das wäre jetzt wieder die Stelle, an der ich mich aufregen könnte über die unsägliche „romantische“ Hochzeitstradition, dass der Vater die Braut in die Kirche bringt und dort an den Bräutigam übergibt, tue ich aber nicht, keine Sorge ;-))
Das haben wir doch hoffentlich hinter uns gelassen.
Aber wenn wir das wirklich hinter uns gelassen haben, das mit dem Gehören, mit dem Behalten, mit dem Festhalten, wieso sollten wir dann überhaupt loslassen? Dann hätte ja auch das, was wir „loslassen“ nennen (die Person nicht mehr bedrängen, nicht mehr manipulieren, nicht mehr bevormunden…) noch den Geschmack des Gehörens, Behaltens, Festhaltens, die Überheblichkeit des „Ich weiß besser was gut für Dich ist und deswegen lasse ich Dich jetzt los“.
Gut, wir können innerlich loslassen. Wir können den Gedanken loslassen, dass unser Glück von der Anwesenheit dieser Person abhängt, dass wir sie unbedingt dazu bringen müssen, bei uns zu sein. Wir können (und meiner Meinung nach auch: sollten) den Gedanken loslassen, dass wir Menschen besitzen können, dass „Du bist mein“ in irgendeiner Weise eine romantische (oder wenn schon romantisch dann wenigstens nicht handlungsleitende ) Idee sein könnte. Aber wir können – wenn wir einem Menschen mir Respekt begegnen – ihn nicht loslassen, weil wir hoffentlich nie geglaubt haben, ihn festhalten zu können oder zu dürfen (was ja genau genommen nur durch Manipulation seiner /ihrer Gefühle möglich ist).
Wenn wir Menschen diesen Respekt für ihre Eigenständigkeit entgegenbringen, dann können wir sie durchaus um etwas bitten: „Ich würde mich freuen, wenn Du Zeit mit mir verbringen wolltest, ich hab Dich gern.“ und wir können ihnen auch sagen: „Ich wünsche mir so, dass Du glücklich wirst, denn ich liebe Dich.“. Wir können sie fragen, was sie sich von uns wünschen: „Wäre es Dir lieber, ich rufte Dich erst einmal nicht mehr an?“. Wir werden aber wohl weder sagen „Ich lass Dich jetzt los, denn es ist besser so für Dich“ noch „Ich bin für Dich da, denn Du brauchst mich ja“. Weil Menschen keine Dinge sind, die unserer Pflege und Sorge bedürfen, können wir davon ausgehen (wenn sie nicht gerade sehr jung, sehr krank oder sehr verwirrt sind), dass sie selbst wissen, was gut für sie ist. Sehr schön finde ich deswegen eine Abschiedsformel, die ich in letzter Zeit öfter gehört habe, und die mich jedes mal hat lächeln lassen weil sie impliziert, dass ich es kann und die Person möchte, dass ich es tue: Pass gut auf Dich auf!
In diesem Sinne : Passt gut auf Euch auf!
Was denkt Ihr? Macht das Konzept des Loslassens für Euch in irgendeiner Weise Sinn? Kennt Ihr den Gedanken, einen Menschen festhalten zu wollen? Wie geht Ihr damit um? Ich weiß, dass das wahrscheinlich eine kontroversieller Text ist. Deswegen: Keine Sorge, ich freue mich über Widerspruch und Diskussion! Das zeigt, dass mein Text gehaltvoll ist (so wie eine Theorie nach Popper nur dann als wissenschaftlich gelten kann, wenn sie grundsätzlich widerlegbar ist) und dass Ihr ihn ernst nehmt!